Seinen Rückblick auf das erste Amtsjahr von Emanuel Macron überschrieb der „Blick“ mit der Titelzeile „Der Messias macht’s“. Schon der „Spiegel“ hatte den Franzosen bei der Präsidentenwahl zum „Messias der Mitte“ erkoren. Superlative und Schlagzeilen ziehen sich an wie Magnete.
«Als ich die Messias-Schlagzeile gelesen habe, war ich drauf und dran, alles hinzuschmeissen und den Job als Nationaltrainer gar nicht anzutreten.» |
Natürlich benutzen die Journalisten den Messiastitel nicht im christlichen Sinne. Aber die religiöse Konnotation ist gewollt. Sie stilisiert Politiker, Fussbaltrainer oder iPhones-Erfinder zu Heilsbringern. Die immer stärker werdende Personalisierung gesellschaftlicher Debatten findet darin ihre Zuspitzung. Haben wir es dabei mit einem rein medialen Phänomen zu tun, oder äussert sich in der Euphorie um neue Hoffnungsträger nicht auch das kindliche Bedürfnis nach einem, der es richtet? Narzisstischen und machtgierigen Politikern (und davon gibt es nicht wenige) kommt dieses Bedürfnis sehr entgegen. Doch die Welle, auf der sie reiten, kann auch schnell brechen. Der „Schulz-Effekt“, der die SPD zu Beginn der überraschenden Kandidatur von Martin Schulz für die Deutsche Bundestagswahl 2017 in holotrope Erregungszustände versetzte, verpuffte nicht nur bald, sondern verkehrte sich in sein Gegenteil. Nach der deutlichen Wahlniederlage wurde Schulz mit Schimpf und Schande von den eigenen Leuten verjagt.
Man könnte einwenden, es sei ja gerade das Schicksal eines Messias, vom eigenen Volk verkannt zu werden. War es bei Jesus nicht genau so? Aber nicht doch. Der christliche Messias ist der, der (wieder) kommt. Sein Ort ist die Zukunft. Dieses Merkmal hat er mit dem jüdischen Messiasbegriff gemeinsam. Der wahre Messias lässt auf sich warten. Es ist ein Paradox: Man wartet beharrlich auf etwas, das nicht eintritt. Und in diesem Warten ereignet sich menschliche Geschichte. Denn solange der Messias nicht gekommen ist, müssen wir die Geschichte selber vorantreiben. Die Zukunft ist offen und zugleich positiv besetzt. „Denn in ihr war jede Sekunde die kleine Pforte, durch die der Messias treten konnte“, wie Walter Benjamin zum jüdischen Geschichtsverständnis in seinem Aufsatz „Über den Begriff der Geschichte“ schrieb. Der deutsche Publizist Henryk M. Broder, legte in seiner geistreichen Art noch eine Schippe drauf. In einer Talksendung erklärte er, nach jüdischer Vorstellung komme der Messias erst, wenn alle Juden fromm seien. Nicht gläubige Juden wie er selbst stellten also sicher, dass die messianische Ankunft ausbliebe und die Welt somit weiterbestehen könne.
Walter Benjamin |
Das Ausbleiben der Wiederkunft Christi hatte auch im Christentum historische Folgen. Man musste sich in der Welt einrichten, Regeln des Zusammenlebens erstellen und immer wieder anpassen, kirchenpolitische Entscheide fällen und sich mit den weltlichen Aspekten der christlichen Existenz befassen. Mit allen Vor- und Nachteilen, mit allen Licht- und Schattenseiten, die wir aus der Kirchengeschichte kennen. Dies hiess aber auch zu lernen, selber Verantwortung zu übernehmen.
Politjournalisten und PR-Beratern würde ich raten, uns mit Messiassen zu verschonen. Dieser Schuss geht immer nach hinten los. Der wahre Messias aber drängt uns nach vorne. Ob er jetzt kommt oder nicht.
(Erschienen als Kolumne von Bruno Amatruda im brefmagazin 11/2018)
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