Gewisse soziale Gruppen sind aufgrund
ihrer prekären Lage besonders schutzbedürftig. Verfolgte, religiöse
Minderheiten, Verarmte, Frauen, Kinder. Traditionellerweise hat sich die
politische Linke immer als Anwältin dieser Marginalisierten verstanden.Doch was
passiert, wenn Minderheiten plötzlich nicht vor staatlichen Übergriffen oder
vor der Mehrheitsgesellschaft, sondern vor anderen Minderheiten in Schutz
genommen werden müssen? Anders gesagt: Wenn Schutzbedürftige auf andere
Schutzbedürftige losgehen?
Seit Jahren beobachte ich dabei einen
linken Reflex, der zwanghaft auf jedes solches Ereignis folgt und letztlich auf
Realitätsverweigerung hinaus läuft. Als in der berüchtigten Kölner
Silvesternacht ein Mob junger, vorwiegend aus dem nordafrikanisch-arabischen
Raum stammender Männer sich an Frauen verging, analysierte „die Grünen“
Politikerin Claudia Roth eiligst, man habe es hier nicht mit einem Ausländer-,
sondern mit einem allgemeinen Männerproblem zu tun. Um der Instrumentalisierung
des Vorfalls durch Fremdenfeinde zuvorzukommen, hievte sie es auf die Ebene der
Geschlechterbeziehungen und stellte die männliche Bevölkerungshälfte unter
Generalverdacht. Verallgemeinerung ist eine der möglichen Stategien im
Umgang mit den Widersprüchen, die bei der Bewirtschaftung unterschiedlicher
Minoritäten zutage treten. Zum Abschluss der Internationalen
Antisemitismus-Konferenz in Wien diesen Februar gab ein Professor im Deutschen
Fernseher den Satz von sich: „Jede Art von Antisemitismus ist schlimm.“ Der
Fernsehbeitrag beleuchtete diverse Aspekte, von Hass im Netz bis zum Liedgut
österreichischer Burschenschaften. Dass eine Art von Antisemitismus für Juden
gefährlicher ist, blieb seltsam unterbelichtet. Rassistisch motivierte Morde an
Juden in Europa sind in den letzten 17 Jahren immer von Moslems begannen
worden. Dies legte der Antisemitismusforscher Manfred Gerstenfeld in der
Jüdischen Rundschau letzten Dezember chronolgisch dar. Frankreich ist
mittlerweile derart gefährlich, dass viele französische Juden mit Auswanderungsgedanken
spielen. Laut Historiker Michael Wolfssohn liegt der Hauptgrund für den Anstieg
des Antisemitismus im aufkeimende Radikalislamismus. Da aber Muslime selbst
immer wieder Opfer von Rassismus sind, haben wir es für Linke wieder mit einer
kognitiven Dissonanz zu tun, mit der sie vor allem auf der Kommunikationsebene
bisher keinen guten Umgang gefunden haben.
Der erklärte Ex-Muslim Kacem El
Ghazzali gab letztes Jahr in einem Zeitungsinterview mit dem Bund seine
Enttäuschung kund über den seiner Meinung nach zu naiven und laschen Umgang
vieler Schweizer Behörden und Institutionen mit dem Islam, zumal in seiner
politisierten Form. Eine SP-Regierungsrätin kritisierte ihn ebenso
scharf wie eine linke Professorin aus Basel. In seinem Heimatland erhielt El
Ghazzali Morddrohungen seitens religiöser Fanatiker. In der Schweiz ist seine
Islamkritik von linker Seite aber auch nicht erwünscht. Als Anfang Jahr
bekannt wurde, dass schwedische Mitarbeiterinnen in Flüchtlingseinrichtungen
sexuelle Beziehungen zu jungen Migranten unterhalten hatten und deshalb
entlassen wurden, warf das keine grossen „she too“-Wellen.
Man bekommt den Eindruck, dass die Linke
unangenehme Themen, welche der Konkurrenz und der Feindschaft unter sozialen
Gruppen geschuldet sind, am liebsten mit einem grossen Tabu belegen würde.
Verallgemeinern und banalisieren, wegschauen und andere beim Kritisieren
massregeln: Wieso tun sich linke Politiker so etwas an? Ich vermute aus Angst
vor den Rechten. Denn sie wissen, Rechtspopulisten sind um jeden dieser
Vorfälle dankbar, er bestätigt ja genau ihre Sicht auf all die verhassten
Minderheiten. Doch wer alles meidet, um „den Rechten nicht in die Hände zu
spielen“, der spielt den Rechten genau in die Hände. Alles, was
verdrängt wird, kommt später negativ potenziert zurück. Das wusste schon
Sigmund Freud.Die Linke ist aufgrund ihrer Tabuisierungen mit verantwortlich
für den Aufstieg des rechtspopulistischen Monsters.
(Erschienen als Kolumne von B. Amatruda
im brefmagazin 3/18)
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