Freitag, 15. Februar 2019

Greta und die Angst


Im vergangenen Dezember hielt die 15jährige Greta Thunberg an der renommierten TED-Innovationskonferenz eine Rede. Darin berichtet sie, dass sie sich im Alter von acht Jahren mit dem Thema Klimawandel zu befassen begann, in der Folge depressiv wurde, mit elf nichts mehr ass und sogar ihre Sprache verlor. Geheilt habe sie erst das Engagement für das Klima.
Mit ihrer wiedererlangten Sprache spricht Greta sehr vielen Menschen aus dem Herzen. Es erstaunt nicht, dass sie zuerst von den Medien (Süddeutsche Zeitung: «Galionsfigur der Klimaschutzbewegung»), und dann auch auf der Strasse («Ich finde es eine gute Sache, dass sich Greta so einsetzt für das Thema», Blick-Umfrage bei Schülern im Sitzstreik)
als Heldin gefeiert wurde.


Trotzdem: So sehr ich Gretas Einsatz für den Klimaschutz bewundere, beschlich mich ein mulmiges Gefühl. Dürfen Eltern in Zeiten des digitalen Mobbings zulassen, dass das eigene Kind derart exponiert wird? Was ist die Rolle des Vaters, der Greta begleitet? Und ist es nicht unverantwortlich, das Spiel der Medien mitzumachen, einen jungen Menschen aus dem Schutz der Gruppe herauszureissen und ihn als Einzelnen der Weltöffentlichkeit zu präsentieren - selbst, wenn er dies selber will? 


Am Weltwirtschaftsforum in Davos Ende Januar sagte Greta, sie wünsche uns Erwachsenen ihre Panik. Wir sollen ihre Ängste spüren, die sie jeden Tag durchlebt. Anders formuliert: Hier leidet ein Kind Todesängste und versucht diese mit Aktivismus zu besiegen. Eine verstörende Aussage, ist es doch ein massiver Unterschied, ob ein Mensch am Klimawandel leidet oder, wie Greta, an der Angst davor. Denn anders als Krieg oder Flucht ist der Klimawandel abstrakt. Er hinterlässt keine traumatischen Spuren. Wir können den schleichenden Rückgang eines Gletschers messen, nicht aber am eigenen Leib erfahren. Doch genau diese Problematik, dass sich Gretas politisches Engagement aus ihrer kindlichen Angst speist, geht in der allgemeinen Begeisterung unter. Vielleicht auch, weil der Klimawandel uns Erwachsenen selbst Angst macht und uns die nötige Distanz dazu fehlt. 

Helfen kann ein Gedankenspiel. Nehmen wir anstatt dem Klimawandel den Salafismus. Ein Mädchen beschäftigt sich eingehend damit und wird am Ende depressiv. Später spricht es auf Podien gegen die Islamisierung. Wäre es nicht selbstverständlich, dass die Öffentlichkeit kritisch nachfragen würde, wie ein Kind auf ein solches Thema kommt, welche Medien es konsumiert und was die Rolle der Eltern ist? Und müssten diese ihr Kind nicht daran hindern, sich mit einer Thematik zu befassen, die es krank macht? 
Beim Klimawandel sind sich aber alle einig. Darum ist es so einfach, die Ängste eines Mädchens zu verklären. Dabei geht es auch anders, wie Roberto Benignis Film La vita é bella zeigt. Dort lässt ein KZ-Häftling seinen kleinen Sohn im Glauben, der Lageralltag sei nur ein Spiel. Wenn er schon die Bedrohung nicht vom Kind fernhalten kann, so doch wenigstens die Angst. Ist das nicht der viel angemessenere Umgang mit kindlichen Ängsten?

Ich weiss von Kindern der Zeugen Jehovas, die Albträume von „Harmageddon“, dem Weltende, haben. Sollten sie später durch Missionieren die Angst in Schach halten, applaudieren wir auch nicht, sondern nehmen an, die Erwachsenen hätten den Kindern ihre eigenen Ängste eingepflanzt.

Harmaggedon im Wachtturm 


Wohlgemerkt, ich glaube nicht, dass die Klimaerwärmung ein Hirngespinst ist. Dennoch ist hier ein unbewusster religionspsychologischer Aspekt mit im Spiel. Gretas Biografie liest sich da wie eine Heiligenvita vor dem Hintergrund unserer modernen ökologischen Apokalyptik: Ein unschuldiges Mädchen durchleidet Höllenqualen, trägt gewissermassen unsere Ängste, doch sie findet durch ihre Mission wieder zum Leben zurück. Ihre Erweckung heilt nicht nur sie selbst, sondern trägt zur Rettung der Welt bei. Bürdet sich hier ein junger Mensch nicht zu viel auf? Oder sind es die Erwachsenen, die ihr diese Bürde aus einem schlechten Gewissen heraus aufhalsen? Trägt sie wie der biblische Sündenbock die Last der Gemeinschaft und wird dafür glorifiziert?

Wer so fragt, wird zum Ketzer. Dies wurde mir bei einer hitzigen Diskussion auf Facebook klar, in deren Verlauf ich heftig kritisiert wurde. Pathologisiere ich mit meiner Sichtweise Greta? Beraube ich sie ihrer Stimme? Mache ich die Heldin zum Opfer? Schade ich mit meinen Anfragen gar dem Klimaschutz? Die Kritik ist bedenkenswert. Meine Ambivalenz aber, die bleibt. Und so sehr ich Gretas Mut bewundere und das Engagement junger Menschen gutheisse; die inneren Widersprüche anzusprechen, die ich bei diesem Personenkult wahrnehme, wird Greta nicht schaden. Und erst recht nicht der Sache, für die sie einsteht.



Bruno Amatruda

(erschienen im brefmagazin 3/2019)