Donnerstag, 19. September 2013

Sogar die reformierte Kirche hat den Säkularismus noch nicht ganz verdaut.


Wenn, Muslime, liberale Kirchen und sogar die evangelikale Evangelische Allianz zusammenspannen, lässt das aufhorchen. Gibt es ein gemeinsames Anliegen oder haben sie nur einen gemeinsamen FEIND?



Dass Religionen sich für Religionsfreiheit einsetzen, leuchtet jedem ein. Doch welche Motivationen stecken hinter dem politischen Engagement vieler Kirchenvertreter, zumal wenn sie sich für die Rechte anderer Religionen einsetzen?

Es fällt auf, wie oft christliche Exponenten in letzter Zeit die religiösen Anliegen der Muslime unterstützt haben:

Im Vorfeld der Minarettinitiative gaben der Schweizerische Evangelische Kirchenbund und die Zürcher Landeskirche ein klares Nein als Parole ab. Der Verbot von Minaretten sei nicht das geeignete Mittel, Integrationsprobleme zu lösen.
Ein ehemaliger Pfarrer zahlt aus eigenen Mitteln die Bussen, welchen muslimischen Frauen in Basel auferlegt wurden, weil sie verschleiert das Schwimmbad besuchten oder die Töchter vom Schwimmunterricht fernhielten.


Für Tilla Jacomet von der Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende des evangelischen Hilfswerks Heks ist es untragbar, Schülerinnen wegen eines Kopftuchs von der Schule zu weisen, wie sie in «10vor10» sagte.

Der emeritierte Theologieprofessor Werner Kramer präsidierte das „GMS Projekt-Muslimische Grabfelder", das 2012 in Winterthur die Errichtung eines nur für Muslime bestimmten Grabfeldes erwirkte.

Nun ist es in einer Demokratie erwünscht, sich in die politische Diskussionen einzubringen. Das gilt sowohl für den einzelnen Bürger –und auch Kirchenvertreter sind Bürger-  wie auch für Institutionen.

Kirchliche Abstimmungsparolen haben eine lange Tradition und sind Teil des demokratischen Prozesses.
Dass getroffene Entscheide –etwa einer Schulleitung- kritisiert werden, ist der freien Meinungsäusserung geschuldet.
Wenn religiös motivierte Gesetzesbrüche unterstützt werden, in dem man für die Geldstrafen aufkommt, mag man dies als heroisch sich gebärdenden Einzelfall von zivilem Ungehorsam belächeln.

Und in der Errichtung von Grabfeldern für eine bestimmte Gruppe kann auf den ersten Blick ein Effort zum friedlichen Zusammenleben der Religionen gesehen werden.



Das säkulare Prinzip wird unterwandert




Und doch bleibt bei alledem ein mehr als bitterer Nachgeschmack zurück. Das Beispiel der Friedhöfe ist symptomatisch:
Wenn Muslime auf öffentlichen Friedhöfen separierte Felder erhalten, wird durch die Hintertüre wieder ein religiöses Ordnungsprinzip eingeführt, das seit 150 Jahren überwunden war. Aufgrund der Wirren des Sonderbundskrieges wurde mit der revidierten Bundesverfassung von 1847 das Bestattungswesen säkularisiert. Das heisst nicht einfach nur, dass die vormals kirchliche Verwaltung auf den Staat übergeht. Säkularisierung bedeutet vielmehr ein neues Axiom, welches das konfessionelle ablöst. Der Staat hat im öffentlichen Friedhof den Primat bernommen und wacht darüber, dass keine Konfession benachteiligt und jeder Bürger gleicht behandelt wird. 

Dieser urliberale Gedanke wird aber mit der Errichtung muslimischer Grabfelder geradezu untergraben: Will etwa ein gemischt-religiöses Ehepaar nebeneinander bestattet werden, stehen ihm Familiengräber zur Verfügung. Allerdings nicht auf dem muslimischen Grabfeld; dieser ist dem nichtmuslimischen Partner verwehrt. Die Friedhofsordnung beugt sich in diesem Punkt islamischem Recht und verlässt das Gleichheitsprinzip. Wir stehen so wieder vor längst überwunden geglaubten konfessionellen Konflikten, die wesentlich die Frage unseres Staats- und Rechtsverständnisses berühren. 

Der liberale Staat ist säkular. Er kann religiösen Bedürfnissen nur so weit entgegenkommen, wie sein säkularer Charakter dabei gewahrt wird.



Es ist löblich, dass Kirchenvertreter sich für die Bedürfnisse von Minderheiten einsetzen. Sie argumentieren mit Toleranz, Integration und Religionsfreiheit. Doch verstehen sie Religionsfreiheit immer im Sinne von Rechten für die Religionen.
Der ursprüngliche, liberale Religionsfreiheitbegriff meint aber in erster Linie Freiheit von Religion auf öffentlichem Grund. Als Konsequenz davon wird das Religiöse ins Private verdrängt.
Der Verdacht drängt sich auf, dass der kirchliche Einsatz für andere Religionen nur teilweise altruistisch motiviert ist und herkömmlich disparate kirchliche Gruppen nur deshalb zusammenspannen, weil sie einen gemeinsamen Feind ausmachen: den säkularen Staat. Diesen empfinden sie als Bedrohung.
Da dieses Gefühl aber auch auf viele Muslime trifft, ergibt sich eine Allianz gemeinsamen Unbehagens am weltlichen Staat.
Einwanderern kann dies natürlich nicht vorgeworfen werden – ihnen muss unser Staatskonzept vielmehr erklärt werden.
Kirchliche Säkularismusskepsis –zumal landeskirchliche- gibt einem Liberalen hingegen zu denken.