Donnerstag, 23. Mai 2013

Homo-Ehe: Bei den Evangelikalen stellt sich ein Umdenken ein.

Die Kirche tat sich lange schwer mit dem Thema Homosexualität. Um die Jahrtausendwende wurde noch in der Synode der Zürcher Landeskirche heftig darüber debattiert, den reformierten Pfarrern schliesslich aber die Möglichkeit von Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare eröffnet. Deutsche Landeskirchen erlaubten letztes Jahr homosexuellen Pfarrpersonen, mit ihren Partnern/-innen das Wohnen im Pfarrhaus. Auch das ging nicht ohne zum Teil heftigen Diskussionen ab. Und dass die christliche LGTB-Gemeinschaft trotz vieler Fortschritte mancherorts noch um Anerkennung kämpfen muss, zeigte jüngst eine Tagung in Zug (die Reformierte Presse vom 17.5.13 berichtete).




Lange schien immerhin klar, dass sich Evangelikale in den Landeskirchen und erst recht die Freikirchen aufgrund ihrer Bibelauslegung gegen die Anerkennung gleichgeschlechtliecher Liebe stellen mussten: In den USA etablierten sich unter den Konservativen Umpolungsprogramme wie "Living Waters", welche homosexuell empfindende Menschen von ihrer sexuellen Orientierung "heilen" sollten. Mittlerweile gibt es nicht nur eine Ex-Gay-Szene, sondern wachsend sogar eine Ex-ex-Gay-Szene bestehend aus Schwulen und Lesben, die sich -natürlich erfolglos- einer solchen Umpolung unterzogen haben.
Und obwohl die konservativen Hardliner nach wie vor am Werk sind (und etwa in Uganda unheilige Allianzen mit homophoben Lokalpolitikern eingehen), scheint sich in der amerikanischen evangelikalen Szene etwas zu tun: Im Zuge der legalen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in einigen US-Bundesstaaten zeigte die Diskussion in den Kirchen, dass die Evangelikalen sich nicht mehr so einig sind.

Es sind prominente Exponenten des US-Evangelikalismus, die -vorsichtig oder dezidiert- eine Kehrtwende einleiteten.
Auf unterschiedliche Weise, aber in der Sache einig brachten in den letzten Wochen bekannte Pastoren wie Brian McLaren (vgl. Artikel), Rob Bell (vgl. Artikel) und Jim Wallis, Mastermind der linksevangelikalen Sojourners-Kommunität in Washingten ihre Argumente FÜR die Homo-Ehe vor.
Letzterer gibt in einem Interview zu Protokoll, dass "mittlerweile 62% der jungen Evangelikalen die Homo-Ehe befürworten." (“Young believers, 62 percent of young evangelicals now support marriage equality.”).


Wie früher die Bibel zur Rechtfertigung der Sklaverei oder zur Unterdrückung der Frauen missbraucht wurde, so der Tenor, würde sie heute fälschlicherweise zur Missbilligung der gleichgeschlechtlichen Liebe herangezogen.

Diese Wende basiert dabei nicht etwa auf opportunistische Anpassung an den Zeitgeist, sondern auf einer aufmerksamen Relektüre der biblischen Texte selbst. Beispielhaft etwa im Aufsatz eines der führenden britishen Evangelikalen: Steve Chalke.


Dass die Revidierung althergebrachter Meinungen nicht konfliktfrei vonstatten geht, versteht sich von selbst. Pastoren, die modernere Ansichten vertreten, müssen im Extremfall mit Kündigungen rechnen. Andere werden mit dem Vorwurf der Häresie vorlieb nehmen müssen. Freilich, prominente Megapastoren ficht das wenig an. Sie mögen am rechten Rand Anhänger verlieren, aber am andern neue, junge gewinnen. Denn Umfragen zufolge tendieren junge Evangelikale im Vergleich zur Elterngeneration viel stärker nach links: Themen wie Umweltschutz, Armut, soziale Gerechtigkeit und Schutz von Minderheiten sind in das Bewusstsein der jüngeren Gläubigen gerückt.

Heute predigen in (vielen) Freikirchen selbstverständlich auch Frauen. Das war vor wenigen Jahrzehnten noch undenkbar. Denkbar ist also, dass evangelikale Christen auch in der Frage gleichgeschlechtlicher Liebe in Zukunft eine Öffnung vollziehen werden, welche es homosexuellen Christinnen und Christen ermöglicht, sich in ihren Gemeinden ganz akzeptiert zu fühlen.