Mittwoch, 14. November 2018

Erlöse uns von den Messiassen




Seinen Rückblick auf das erste Amtsjahr von Emanuel Macron überschrieb der „Blick“ mit der Titelzeile „Der Messias macht’s“. Schon der „Spiegel“ hatte den Franzosen bei der Präsidentenwahl zum „Messias der Mitte“ erkoren. Superlative und Schlagzeilen ziehen sich an wie Magnete. 





Der „Blick“ kündigte 2008 Ottmar Hitzfeld bei seinem Antritt als Trainer der Schweizer Fussballnationalmannschaft als Messias an. Hitzfeld wehrte sich in den Medien vehement gegen diese Adelung. Vielleicht war dem gläubigen Katholiken die religiöse Überhöhung zuwider; sicher ist aber, dass er die damit verbundenen überzogenen Erwartungen sofort abklemmen wollte. Denn so viel ist sicher: Ein irdischer Messias kann nur scheitern.  „Der Messias tritt ab als Mensch“ schrieb derselbe „Blick“ zum Ende von Obamas Zeit im Weissen Haus. Diese Enttäuschung ist hausgemacht von jenen, die nicht einsehen wollen, dass Obama schon als Mensch antrat. Und eben nicht als Messias. Obwohl ich um des Lokalkolorits Willen vor allem die Schweizer Zeitung erwähne – ausländische Medien geizen genau so wenig mit religiösen Begriffen.


«Als ich die Messias-Schlagzeile gelesen habe, war ich drauf und dran, alles hinzuschmeissen und den Job als Nationaltrainer gar nicht anzutreten.»



Natürlich benutzen die Journalisten den Messiastitel nicht im christlichen Sinne. Aber die religiöse Konnotation ist gewollt. Sie stilisiert Politiker, Fussbaltrainer oder iPhones-Erfinder zu Heilsbringern. Die immer stärker werdende Personalisierung gesellschaftlicher Debatten findet darin ihre Zuspitzung. Haben wir es dabei mit einem rein medialen Phänomen zu tun, oder äussert sich in der Euphorie um neue Hoffnungsträger nicht auch das kindliche Bedürfnis nach einem, der es richtet? Narzisstischen und machtgierigen Politikern (und davon gibt es nicht wenige) kommt dieses Bedürfnis sehr entgegen. Doch die Welle, auf der sie reiten, kann auch schnell brechen. Der „Schulz-Effekt“, der die SPD zu Beginn der überraschenden Kandidatur von Martin Schulz für die Deutsche Bundestagswahl 2017 in holotrope Erregungszustände versetzte, verpuffte nicht nur bald, sondern verkehrte sich in sein Gegenteil. Nach der deutlichen Wahlniederlage wurde Schulz mit Schimpf und Schande von den eigenen Leuten verjagt.
Man könnte einwenden, es sei ja gerade das Schicksal eines Messias, vom eigenen Volk verkannt zu werden. War es bei Jesus nicht genau so? Aber nicht doch. Der christliche Messias ist der, der (wieder) kommt. Sein Ort ist die Zukunft. Dieses Merkmal hat er mit dem jüdischen Messiasbegriff gemeinsam. Der wahre Messias lässt auf sich warten. Es ist ein Paradox: Man wartet beharrlich auf etwas, das nicht eintritt. Und in diesem Warten ereignet sich menschliche Geschichte. Denn solange der Messias nicht gekommen ist, müssen wir die Geschichte selber vorantreiben. Die Zukunft ist offen und zugleich positiv besetzt. „Denn in ihr war jede Sekunde die kleine Pforte, durch die der Messias treten konnte“, wie Walter Benjamin zum jüdischen Geschichtsverständnis in seinem Aufsatz „Über den Begriff der Geschichte“ schrieb. Der deutsche Publizist Henryk M. Broder, legte in seiner geistreichen Art noch eine Schippe drauf. In einer Talksendung erklärte er, nach jüdischer Vorstellung komme der Messias erst, wenn alle Juden fromm seien. Nicht gläubige Juden wie er selbst stellten also sicher, dass die messianische Ankunft ausbliebe und die Welt somit weiterbestehen könne.


Walter Benjamin


Das Ausbleiben der Wiederkunft Christi hatte auch im Christentum historische Folgen. Man musste sich in der Welt einrichten, Regeln des Zusammenlebens erstellen und immer wieder anpassen, kirchenpolitische Entscheide fällen und sich mit den weltlichen Aspekten der christlichen Existenz befassen. Mit allen Vor- und Nachteilen, mit allen Licht- und Schattenseiten, die wir aus der Kirchengeschichte kennen. Dies hiess aber auch zu lernen, selber Verantwortung zu übernehmen.
Politjournalisten und PR-Beratern würde ich raten, uns mit Messiassen zu verschonen. Dieser Schuss geht immer nach hinten los. Der wahre Messias aber drängt uns nach vorne. Ob er jetzt kommt oder nicht.  


(Erschienen als Kolumne von Bruno Amatruda im brefmagazin 11/2018)

Sonntag, 18. März 2018

Das linke Minderheiten-Paradox





Gewisse soziale Gruppen sind aufgrund ihrer prekären Lage besonders schutzbedürftig. Verfolgte, religiöse Minderheiten, Verarmte, Frauen, Kinder. Traditionellerweise hat sich die politische Linke immer als Anwältin dieser Marginalisierten verstanden.Doch was passiert, wenn Minderheiten plötzlich nicht vor staatlichen Übergriffen oder vor der Mehrheitsgesellschaft, sondern vor anderen Minderheiten in Schutz genommen werden müssen? Anders gesagt: Wenn Schutzbedürftige auf andere Schutzbedürftige losgehen?

Seit Jahren beobachte ich dabei einen linken Reflex, der zwanghaft auf jedes solches Ereignis folgt und letztlich auf Realitätsverweigerung hinaus läuft. Als in der berüchtigten Kölner Silvesternacht ein Mob junger, vorwiegend aus dem nordafrikanisch-arabischen Raum stammender Männer sich an Frauen verging, analysierte „die Grünen“ Politikerin Claudia Roth eiligst, man habe es hier nicht mit einem Ausländer-, sondern mit einem allgemeinen Männerproblem zu tun. Um der Instrumentalisierung des Vorfalls durch Fremdenfeinde zuvorzukommen, hievte sie es auf die Ebene der Geschlechterbeziehungen und stellte die männliche Bevölkerungshälfte unter Generalverdacht. Verallgemeinerung ist eine der möglichen Stategien im Umgang mit den Widersprüchen, die bei der Bewirtschaftung unterschiedlicher Minoritäten zutage treten. Zum Abschluss der Internationalen Antisemitismus-Konferenz in Wien diesen Februar gab ein Professor im Deutschen Fernseher den Satz von sich: „Jede Art von Antisemitismus ist schlimm.“ Der Fernsehbeitrag beleuchtete diverse Aspekte, von Hass im Netz bis zum Liedgut österreichischer Burschenschaften. Dass eine Art von Antisemitismus für Juden gefährlicher ist, blieb seltsam unterbelichtet. Rassistisch motivierte Morde an Juden in Europa sind in den letzten 17 Jahren immer von Moslems begannen worden. Dies legte der Antisemitismusforscher Manfred Gerstenfeld in der Jüdischen Rundschau letzten Dezember chronolgisch dar. Frankreich ist mittlerweile derart gefährlich, dass viele französische Juden mit Auswanderungsgedanken spielen. Laut Historiker Michael Wolfssohn liegt der Hauptgrund für den Anstieg des Antisemitismus im aufkeimende Radikalislamismus. Da aber Muslime selbst immer wieder Opfer von Rassismus sind, haben wir es für Linke wieder mit einer kognitiven Dissonanz zu tun, mit der sie vor allem auf der Kommunikationsebene bisher keinen guten Umgang gefunden haben.

 Der erklärte Ex-Muslim Kacem El Ghazzali gab letztes Jahr in einem Zeitungsinterview mit dem Bund seine Enttäuschung kund über den seiner Meinung nach zu naiven und laschen Umgang vieler Schweizer Behörden und Institutionen mit dem Islam, zumal in seiner politisierten Form.  Eine SP-Regierungsrätin kritisierte ihn ebenso scharf wie eine linke Professorin aus Basel. In seinem Heimatland erhielt El Ghazzali Morddrohungen seitens religiöser Fanatiker. In der Schweiz ist seine Islamkritik von linker Seite aber auch nicht erwünscht. Als Anfang Jahr bekannt wurde, dass schwedische Mitarbeiterinnen in Flüchtlingseinrichtungen sexuelle Beziehungen zu jungen Migranten unterhalten hatten und deshalb entlassen wurden, warf das keine grossen „she too“-Wellen.   

Man bekommt den Eindruck, dass die Linke unangenehme Themen, welche der Konkurrenz und der Feindschaft unter sozialen Gruppen geschuldet sind, am liebsten mit einem grossen Tabu belegen würde. Verallgemeinern und banalisieren, wegschauen und andere beim Kritisieren massregeln: Wieso tun sich linke Politiker so etwas an? Ich vermute aus Angst vor den Rechten. Denn sie wissen, Rechtspopulisten sind um jeden dieser Vorfälle dankbar, er bestätigt ja genau ihre Sicht auf all die verhassten Minderheiten. Doch wer alles meidet, um „den Rechten nicht in die Hände zu spielen“, der spielt den Rechten genau in die Hände.  Alles, was verdrängt wird, kommt später negativ potenziert zurück. Das wusste schon Sigmund Freud.Die Linke ist aufgrund ihrer Tabuisierungen mit verantwortlich für den Aufstieg des rechtspopulistischen Monsters.

(Erschienen als Kolumne von B. Amatruda im brefmagazin 3/18)

Mittwoch, 21. Februar 2018

Moralinsucht




Irgendwann verlor die Kirche ihre Macht, den Menschen moralische Vorgaben zu machen.
Als sie es noch tat, war die Welt in Ordnung. Sie funktionierte nämlich wie eine Familie: Die Eltern setzten die Standards, die Kinder wählten zwischen Gehorsam, offener Rebellion und vorgetäuschtem Gehorsam (ausser Haus tat man, was man wollte).  Doch mit dem Machtverlust der Mutter Kirche hielt nicht etwa die moralische Befreiung Einzug, sondern nun gingen die Kinder aufeinander los. Ernährungsgewohnheiten, medizinische Entscheidungen, Kauf- und Abstimmungsverhalten: Es gibt keinen Bereich, der nicht zur Frage der Moral erhoben wird und einen permanenten gesellschaftlichen Antagonismus kreiert: Impfende und Impfgegner, Stillende gegen Flaschende, Vegetarier und Grillmeister, Vaterlandsverräter gegen Fremdenfeinde. Das Verstörende ist ja nicht, dass hier verschiedene Ansichten auf einander prallen, sondern die an Raserei grenzende emotionale Vehemenz, mit welcher sich die Menschen gegenseitig bekämpfen. So als hinge die eigene Existenz an der Frage „Energiesparlampen oder Glühbirnen?“.

Jede Gemeinschaft bildet Sitten, Normen und Werte aus, das liegt in ihrer Natur. Traditionellerweise sind diese aber eingebettet in ein grösseres weltanschauliches Ganzes. Wo dieses Ganze wegfällt, kann es passieren, dass sich die Moral an seine Stelle setzt und als Sinnersatz fungiert. Aus Moral wird so Moralismus.

Des Moralisten Verlust der Verhältnismässigkeit, das Festhalten an der eigenen Meinung wie an einem Strohhalm, der Tunnelblick: Mich erinnert das an Süchtige. Der Alkoholiker, der auf sein Trinkverhalten aufmerksam gemacht wird, fühlt sich im Innersten angegriffen und reagiert mit totaler Abwehr. Genauso wie die Linken, als man sie auf die stalinistischen Verbrechen hinwies. Oder die Bürgerlichen, wenn man das imperialistische Gebaren des Westens anprangerte. Denn Sucht, auch Moralinsucht, führt zu verzerrter Wahrnehmung. Die Sucht setzt sich an die Stelle des Ichs und muss gegen rationale Argumente geschützt werden. Erzählen Sie einem überzeugten Fleischesser von den Zuständen in Mastbetrieben. Oder einem Veganer von den gesundheitlichen Risiken, denen er sein Kind aussetzt. Sie werden niedergebrüllt werden wie Frau Merkel von der Pegida und wie Frau Petry von der Antifa.

Und dann diese Dynamik: Sucht kriegt den Hals nicht voll. Niemand kann zwei Zigaretten am Tag rauchen, innerhalb weniger Wochen wird daraus ein Päckchen. Mit dem Moralin verhält es sich gleich. Nach jeder moralischen Errungenschaft wird die Messlatte höher gelegt. Vor ein paar Jahren klagte eine Schweizerische Organisation gegen eine Waschmittelfirma. Diese habe durch das Weisswaschen eines braunen Teddybären in einem Werbespot rassistische Stereotypen bedient. Der Realitätsverlust des Moralinsüchtigen treibt ihn immer an den Rand der Blamage. Von Moral wird man nie satt. Das hat mit dem idealistischen Charakter von Normen zu tun. Das Ideal selbst kann gar nie erreicht werden, es dient aber als Orientierungspunkt. Mit Moral, vor allem in ihrer militanten Erscheinungsform, lassen sich allerdings eigene tiefsitzende Probleme vortrefflich verdecken. Ich habe Feministinnen getroffen, die ihr privates Vaterproblem auf die ganze Männerwelt projiziert haben. Und Ausländer, die rassistisch gegen andere Ausländergruppen hetzen, weil diesen angeblich das Leben so viel einfacher gemacht wird.

Das Loch, das der Süchtige in sich verspürt, stopft noch so viel Heroin nicht. Das eigentliche Problem des Menschen kann ebenso wenig mit Moral gelöst werden. Moral ist paulinisch-theologisch gesprochen also das Gesetz, das den Menschen stetig überführt.
Der Moralinsüchtige setzt die Moral absolut. Wie dem Süchtigen sein Suchtmittel heilig ist, erlangt in nachkirchlichen Zeiten ein beliebiger moralischer Inhalt sakralen Status. Wehe jemand ist gegen Demokratie oder gegen Menschenrechte. Er gilt sofort als Ketzer.

Dem Egoismus des Süchtigen entspricht der Narzissmus des Moralisten. Die gerechte Sache, um die es ihm angeblich geht, dient nur als Staffage für seine Selbstdarstellung. Deshalb umgibt sich der Moralinsüchtige gerne mit Gleichgesinnten. Sie bilden den Resonanzraum seines Egos, wie beim Süchtigen die Opiumhöhle und beim Trinker die Saufkumpane.

Die evangelische Kirche verkündet doch das Evangelium der Freiheit. Wer könnte die Moralisten besser von ihrer Sucht befreien? 

(erschienen in brefmagazin 2017)