Dienstag, 18. August 2015

Verfahren am Hals - Diskurs und Verrechtlichung

Früher waren es die Kirchen, welche über die Moral ihrer Schäfchen wachten.
Zum Glück ist in unseren Breitengraden der klerikale Einfluss weitgehend zurück gedrängt worden: Der liberale Staat wird von mündigen Bürgern gebildet und bringt mündige Bürger hervor - zumindest in der Theorie. Dieser freie Bürger bedient sich rationaler Argumente, um seine Ideen oder gar Interessen zu vertreten und begibt sich mit den anderen Bürgern in einen öffentlichen Diskurs, in welchem der "zwanglose Zwang des besseren Argumentes" (Habermas) die Oberhand behält.
Anders gesagt; wir dürfen über alles reden und debattieren. Die besten Argumente werden sich kraft ihrer Überzeugungskraft durchsetzen. Das gelingt nicht immer, sogar eher selten. Aber es gilt als das liberale Ideal.

Nun ist aber seit einiger Zeit etwas dem total Gegenläufiges zu beobachten: das Blockieren von Argumenten und die Tabuisierung von Diskursen durch Rechtsandrohungen.

Der Sozialphilosoph Habermas beklagte vor Jahren, dass die Lebenswelt, welche von Haus auf sozial und dialogisch grundiert sei, durch das Subsystem Wirtschaft kolonialisiert werde. Die Monetarisierung der Lebenswelt (alles wird in erster Linie nach finanziellen Kriterien bewertet) stelle eine der "Sozialpathologien" unserer Gesellschaft dar, so Habermas. Wird nun das Subsystem "Recht" eine ähnliche gesellschaftliche Vorrangstellung einnehmen, sprich: werden gesellschaftliche Diskurse künftig einer Verrechtlichung anheim fallen?

Ich meine damit nicht einen "Meinungsterror", eine mediale Einseitigkeit, wie sie etwa Thilo Sarrazin beklagt. Dass Medien nicht objektiv berichten, ist eine Binsenwahrheit. Es GIBT KEINE OBJEKTIVITÄT (nicht einmal in der Naturwissenschaft, wie Feldforschung oder Quantenphysik längst bewiesen haben), wieso sollten ausgerechnet Medien frei von Präferenzen und ideologischen Voraussetzungen sein, die ihren Standpunkt bestimmen? Und wieso soll es keinen Meinungsmainstream geben, wo es doch in allem einen Mainstream und Neben- und Gegen- und Unterstränge gibt (Kunst, Wissenschaft, Ideen, Formen des sozialen Umgangs etc.)?
Sarrazin wurde -obwohl er nichts als Zahlen und Fakten präsentiert und auf seine Weise interpretiert hatte- zwar diffamiert, also moralisch an den Pranger gestellt. Aber da stand nur Meinung gegen Meinung. Er hatte jederzeit die Möglichkeit, seine strittigen Thesen öffentlich zu verteidigen. So wie es sich in einer liberalen Gesellschaft und Demokratie gehört.

Nein, ich meine den nächsten Schritt: Das Gerichtsverfahren.

In den USA und in Irland erlangte die Homo-Ehe politische Anerkennung. Wer sich nun dagegen ausspricht, wie die saarländische Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer, riskiert nun, angezeigt zu werden. Der Vorwurf: Volksverhetzung.
(vgl:
http://www.welt.de/politik/deutschland/article141950881/Kramp-Karrenbauer-wegen-Volksverhetzung-angezeigt.html )

Dass der Churer Bischof Huonder in seinem Plädoyer gegen Homosexualität nun alttestamentliche Stellen zitiert, ist Pink Cross eine gerichtliche Anklage wert (http://www.pinkcross.ch/news/2015/pink-cross-haelt-an-strafanzeige-gegen-bischof-huonder-fest ). 


Eine der liberalen Errungenschaften ist die freie Meinungsäusserung. Kramp-Kartenbauer darf sagen, was sie will. Ruft sie zu Mord und Totschlag auf? Nein. Sie äussert Bedenken. Wie steht es nun mit der freien Meinungsäusserung? Und Bischof Huonder zitiert die Bibel. Natürlich auf eine völlig unstatthafte Weise. Das soll, ja, das MUSS diskutiert werden, kontrovers und hart in der Sache. Aber soll das Recht hier bemüht werden, so als hätte sich der Bischof einer Gesetzesübertretung schuldig gemacht? (Im übrigen: von Huonder eine homo-freundliche Einstellung zu erwarten, wäre etwa so, als würde man Keith Richards zu einer Anti-Raucher-anti-Drogen-Kampagne drängen).

Das Problem, das ich im Ganzen sehe ist: Durch Recht soll ein Diskurs begrenzt oder gar verunmöglicht werden. Mutet man dem mündigen Bürger keine Debatten mehr zu? Wie mündig ist der Bürger, wenn er divergierende Meinungen per Dekret, d.h. durch den Staat unterdrücken muss? Benimmt er sich nicht eher wie das Kind, das den Kontrahenten bei Eltern oder Lehrern verpfeifft?

Frührer übernahm die "Mutter Kirche" die elterliche Funktion. Der mündige Bürger hat aber offenbar da und dort noch Mühe, erwachsen zu werden und sucht sich -diesmal in der Gestalt der Gerichte - eine neue Vaterfigur.

Einer liberalen Demokratie ist solch infantiles Gebahren nicht würdig.


B. Amatruda