Sonntag, 18. März 2018

Das linke Minderheiten-Paradox





Gewisse soziale Gruppen sind aufgrund ihrer prekären Lage besonders schutzbedürftig. Verfolgte, religiöse Minderheiten, Verarmte, Frauen, Kinder. Traditionellerweise hat sich die politische Linke immer als Anwältin dieser Marginalisierten verstanden.Doch was passiert, wenn Minderheiten plötzlich nicht vor staatlichen Übergriffen oder vor der Mehrheitsgesellschaft, sondern vor anderen Minderheiten in Schutz genommen werden müssen? Anders gesagt: Wenn Schutzbedürftige auf andere Schutzbedürftige losgehen?

Seit Jahren beobachte ich dabei einen linken Reflex, der zwanghaft auf jedes solches Ereignis folgt und letztlich auf Realitätsverweigerung hinaus läuft. Als in der berüchtigten Kölner Silvesternacht ein Mob junger, vorwiegend aus dem nordafrikanisch-arabischen Raum stammender Männer sich an Frauen verging, analysierte „die Grünen“ Politikerin Claudia Roth eiligst, man habe es hier nicht mit einem Ausländer-, sondern mit einem allgemeinen Männerproblem zu tun. Um der Instrumentalisierung des Vorfalls durch Fremdenfeinde zuvorzukommen, hievte sie es auf die Ebene der Geschlechterbeziehungen und stellte die männliche Bevölkerungshälfte unter Generalverdacht. Verallgemeinerung ist eine der möglichen Stategien im Umgang mit den Widersprüchen, die bei der Bewirtschaftung unterschiedlicher Minoritäten zutage treten. Zum Abschluss der Internationalen Antisemitismus-Konferenz in Wien diesen Februar gab ein Professor im Deutschen Fernseher den Satz von sich: „Jede Art von Antisemitismus ist schlimm.“ Der Fernsehbeitrag beleuchtete diverse Aspekte, von Hass im Netz bis zum Liedgut österreichischer Burschenschaften. Dass eine Art von Antisemitismus für Juden gefährlicher ist, blieb seltsam unterbelichtet. Rassistisch motivierte Morde an Juden in Europa sind in den letzten 17 Jahren immer von Moslems begannen worden. Dies legte der Antisemitismusforscher Manfred Gerstenfeld in der Jüdischen Rundschau letzten Dezember chronolgisch dar. Frankreich ist mittlerweile derart gefährlich, dass viele französische Juden mit Auswanderungsgedanken spielen. Laut Historiker Michael Wolfssohn liegt der Hauptgrund für den Anstieg des Antisemitismus im aufkeimende Radikalislamismus. Da aber Muslime selbst immer wieder Opfer von Rassismus sind, haben wir es für Linke wieder mit einer kognitiven Dissonanz zu tun, mit der sie vor allem auf der Kommunikationsebene bisher keinen guten Umgang gefunden haben.

 Der erklärte Ex-Muslim Kacem El Ghazzali gab letztes Jahr in einem Zeitungsinterview mit dem Bund seine Enttäuschung kund über den seiner Meinung nach zu naiven und laschen Umgang vieler Schweizer Behörden und Institutionen mit dem Islam, zumal in seiner politisierten Form.  Eine SP-Regierungsrätin kritisierte ihn ebenso scharf wie eine linke Professorin aus Basel. In seinem Heimatland erhielt El Ghazzali Morddrohungen seitens religiöser Fanatiker. In der Schweiz ist seine Islamkritik von linker Seite aber auch nicht erwünscht. Als Anfang Jahr bekannt wurde, dass schwedische Mitarbeiterinnen in Flüchtlingseinrichtungen sexuelle Beziehungen zu jungen Migranten unterhalten hatten und deshalb entlassen wurden, warf das keine grossen „she too“-Wellen.   

Man bekommt den Eindruck, dass die Linke unangenehme Themen, welche der Konkurrenz und der Feindschaft unter sozialen Gruppen geschuldet sind, am liebsten mit einem grossen Tabu belegen würde. Verallgemeinern und banalisieren, wegschauen und andere beim Kritisieren massregeln: Wieso tun sich linke Politiker so etwas an? Ich vermute aus Angst vor den Rechten. Denn sie wissen, Rechtspopulisten sind um jeden dieser Vorfälle dankbar, er bestätigt ja genau ihre Sicht auf all die verhassten Minderheiten. Doch wer alles meidet, um „den Rechten nicht in die Hände zu spielen“, der spielt den Rechten genau in die Hände.  Alles, was verdrängt wird, kommt später negativ potenziert zurück. Das wusste schon Sigmund Freud.Die Linke ist aufgrund ihrer Tabuisierungen mit verantwortlich für den Aufstieg des rechtspopulistischen Monsters.

(Erschienen als Kolumne von B. Amatruda im brefmagazin 3/18)