Donnerstag, 4. Juni 2015

Adoption als Instrumentalisierung?



In der "Kritik der praktischen Vernunft" gibt Immanuel Kant das anthropologische Statement par excellence ab, das besagt, der Mensch dürfe als Ganzes nur Zweck, niemals Mittel sein. Heute sagen wir, ein Mensch darf nie verzweckt und instrumentalisiert werden. Auch nicht für ein höheres Ziel, eine hehre Idee usw.

In der neulich aufgekommenen Diskussion um die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare steht am Rande auch das Adoptionsrecht zur Debatte. Ein Argument seitens der Befürworter einer breiteren Adoptionspraxis lautet, ein Kind brauche Liebe und Zuwendung und es sei unerheblich, ob ihm diese von Vater und Mutter oder zwei Vätern oder zwei Müttern zuteil kommen.
Gewiss sagt das Geschlecht nichts aus über die Art der Zuwendung, die ein Kind bekommt. Doch im Licht der kantschen Maxime stellt sich die Frage der Instrumentalisierung. Wenn ein Paar - notabene gleich welchen Geschlechts! - auf natürlichem Wege keine Kinder bekommt und nun eines adoptiert, haben wir es hier nicht mit einer Verzweckung zu tun? Ein Kind muss her, um den Kinderwunsch des Paares zu erfüllen.

Auf den ersten Blick scheint die Adoption ja eine win-win-Situation darzustellen; ein Kind, das - aus welchen Gründen auch immer - nicht bei den leiblichen Eltern aufwachsen kann, bekommt ein neues Zuhause und ein kinderloses Paar kommt so zu einem Kind. (Egoistische und altruistische Motive hielten sich so die Waage). Die Tatsache aber, dass im Normalfall die Erwachsenen das Kind aussuchen und nicht umgekehrt, zeigt die Schieflage dieses vermeintlichen Tauschgeschäftes auf. Wirklich altruistisch wäre nur die Adoption eines Kindes durch ein Paar, das bereits eigene Kinder hat - denn ihnen könnte man nicht unterstellen, ein Kind aus rein egoistischen Gründen aufzunehmen.

Ich behaupte nicht, Adoption sei an sich ein Übel. Doch wir müssen uns der Ambivalenzen klar sein, welche ihr in ethischer Hinsicht innewohnt. Am nächsten liegt mir in dieser Frage eine naturalistische Sichtweise, bzw. eine Orientierung an den natürlichen Verhältnissen: Adoption verwaister Kinder möglichst durch Verwandte oder Nahestende (statt Adoptionstourismus à la Madonna oder Angelina Jolie). Kinderlosigkeit als Los der Natur annehmen. Die Reproduktionsmedizin kann zwar hier tatsächlich "der Natur nachhelfen" und darf somit auch in Anspruch genommen werden. Letztlich gilt es aber, die eigene Natur anzunehmen. Und an dieser Stelle spitzt sich die Problematik bei gleichgeschlechtlichen Paaren zu: ein homosexuelles Paar kann sich nicht natürlich fortpflanzen, weshalb es hier keine Natur gibt, der man "nachhelfen" könnte.

Mir ist bewusst, wie heikel eine solche Aussage ist, sie könnte leicht als diskriminierend aufgefasst werden. Der Kinderwunsch mag für alle legitim sein. Aber er legitimiert m.E. nicht automatisch adoptionsrechtliche oder reproduktionstechnische Massnahmen. Und zwar nicht, weil jemand aufgrund seiner Geschlechtlichkeit einer Adoption nicht würdig wäre, sondern weil ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, man instrumentalisiere Menschen, Kinder um zu kompensieren, was die Natur nicht hergibt.

Mir ist auch bewusst, dass ich hier einen klassischen (klassischer geht's nicht mehr) sogenannten "naturalistischen Fehlschluss" vorlege. Weil etwas (z.B. von Natur aus) so ist, heisst das nicht, dass es auch so sein soll. Tatsachen an sich haben noch keinen ethisch-normativen Anspruch.
 Allein, ich weiss mir bei dieser Frage noch nicht  besser zu helfen, als mit dem Votum, das eigene So-Sein, die eigene Natur anzunehmen (betreffe sie Kinderlosigkeit, die sexuelle Orientierung, das Alter etc.) und damit auch die natürlich gegebenen Grenzen und Konsequenzen.

Da ich aber noch zu keinem abschliessenden Urteil in dieser Frage gelangt bin, würde ich mich auf Eure Argumente und eine weitergehende Diskussion freuen!

B. Amatruda