Freitag, 9. November 2012

Nahtoderfahrungen


Dr. Eben Alexander war als Neurobiologe der Ansicht, Nahtoderfahrungen seien das Produkt des Gehirns. In Situationen höchster Gefahr schütte es körpereigene Substanzen aus, die zu den bekannten Phänomenen führten: dem Gefühl der Körperlosigkeit, dem Tunnelerlebnis usw.

Bis er selber ein solches Nahtoderlebnis hatte. Und zwar während seine Hirnfunktionen erwiesenermassen ausser Kraft gesetzt waren. Das änderte seine Einstellung radikal. Newsweek widmete Alexander einen Artikel und sogar das Fernsehen berichtete (siehe Video).

Solche Erlebnisberichte finden sich seit einigen Jahren zuhauf. Letzte Woche erschien Bo Katzmann's Autobiographie mit den bezeichnenden Titel "2 Minuten Ewigkeit". Das Buch schildert u.a. das persönliche Nahtoderlebnis nach einem Motorradunfall, den der Schweizer Sänger in jungen Jahren erlitt. Und der sein ganzes späteres Leben prägen sollte. ( http://www.bokatzman.ch/das-buch/ )

Das Thema weckt natürlich Interesse. Auf der Rangliste der beliebtesten Themen von Maturitätsarbeiten, die ich zu betreuen habe, rangiert NTE auf Platz 2, gleich hinter dem Themenbereich "Sekten".

Mittlerweile ist bekannt, dass Nahtodberichte inhatlich stark divergieren können, strukturell hingegen wiederkehrende Merkmale aufweisen. Diese sind u.a.:
-das Gefühl, ausserhalb des Körpers zu sein
-die Aufhebung von Zeit und Raum
-das Tunnelerlebnis und das Angezogenwerden vom Licht
-u.a. das Wahrnehmen anderer Wesen, manchmal verstorbener Verwandter
-der Lebensrückblick, die Lebensbilanz
-das Verbundensein mit allem, ein höheres Wissen
-das Gefühl, geliebt zu sein

Auffallend hingegen sind kulturell bedingte Unterschiede. So können westliche Personen von Gott, Jesus, Engeln oder Heiligen berichten, während Inder den Gestalten aus ihrer religiösen Vorstellungswelt begegnen. Sogar innerhalb der kulturellen Gemeinschaft ist das Erlebte alles andere als einheitlich.
Dies führt selbstredend zu den unterschiedlichsten Beurteilungen. Die subjektive Prägung solcher Erlebnisse ist genau so wenig von der Hand zu weisen, wie die Tatsache, dass viele Menschen aus allen Teilen der Welt wenn nicht gleiches, so doch ähnliches berichten.

Was aber ALLE Nahtoderfahrenen gemeinsam haben, ist die subjektive Gewissheit eines realen Erlebens. Kein einziger glaubt, das Ganze nur geträumt zu haben.
Und noch etwas eint die Menschen, die eine Nahtoderfahrung gemacht haben: Das Erlebte hat sie nachhaltig geprägt.

Natürlich ergibt sich die Schwierigkeit, dieses subjektive Erleben in einen "objektiven" oder zumindest allgemein gültigen Rahmen zu überführen. Denn es ist ja nicht so, dass wir bruta facta vor uns liegen hätten, empirisches Material, welches lediglich der Interpretation bedürfte. Sondern bereits die "Fakten" liegen ausserhalb des Empirischen.
Dies bedeutet nicht, dass wir die Berichte und Erlebnisse von Nahtoderfahrenen nicht ernst nehmen sollten. Ganz im Gegenteil!

Wir dürfen solche Berichte aber auch nicht als BEWEIS der Existenz der Seele, des Jenseits etc. betrachten, wie dies bisweilen in rührseligen oder reisserischen Büchern versucht wird (etwa Burpo's "Heaven is Real. A little Boy's Astounding Story of His Trip to Heaven and Back").

Eine adäquatere Art der Annäherung an das Thema scheint mir entweder der poetisch-weisheitliche Ansatz von Ken R. Vincent ("Visions of God from the Near Death Experience") zu sein, welcher inneren Bildern nachgeht und sich mit weisheitlichen Texten befasst. Oder aber -wennschon, dennschon!- die hoch spekulative Herangehensweise eines Physikers wie Markolf H. Niemz, der fragt: "Bin ich, wenn ich nicht mehr bin?" (Kreuz Verlag) und physikalische wie quantentheoretische Überlegungen zu Zeit, Ewigkeit, Seele, Licht etc. anstellt und sie mit NTE-Berichten in Verbindung bringt.
Spekulation? Vielleicht. Aber nirgends als beim Thema Nahtod wird deutlicher, dass wir es hier trotz allem eben NICHT mit Letztem, sondern lediglich mit Vorletztem zu tun haben.

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Bruno Amatruda ist Religionslehrer an der Kantonsschule Rychenberg.