Donnerstag, 28. März 2013

Erlösung durch Hinrichtung?





Für viele steht und fällt das Christentum mit dem Opfertod Christi. Dass Jesus "für unsere Sünden" gestorben sei, mache das Wesentliche unseres Glaubens aus. Im 11 Jhdt. stellte Anselm von Canterbury die These auf, dass nur die Opferung des Gottessohnes für uns Vergebung und Erlösung bei Gott erwirken könne, indem dieser unsere Strafe auf sich nimmt.   


Befriedigt diese Theorie? Tröstet sie unser Gewissen? Oder führt sie uns in Konflikt mit unserem Gottesbild und unserem Gerechtigkeitssinn?
Gott vergibt, ja.  Aber MUSS er hierfür seinen Sohn unschuldig töten lassen? Ist das dann noch ein liebender Gott?
Sogar wenn wir mit Anselm sagen, Gott selbst habe am Kreuz gehangen, bleibt die Frage: wozu die ganze Inszenierung? Kann Gott nicht EINFACH SO VERGEBEN?

Schliesslich die Frage: entspricht diese Art von Opfertheologie eigentlich der Bibel?
Die Antwort ist Ja und Nein. Allerdings mehr Nein als Ja.
Es gibt zwar tatsächlich an einigen Stellen die Vorstellung eines Sühneopfers. Wobei aber nicht Gott versöhnt werden muss, sondern der  Mensch (vgl. 2. Kor 5). Zu beachten ist dabei, dass das jüdische Vorverständnis von Versöhnung und Entschuldung mit dem Opfergedanken verknüpft ist. Ohne Darbringung eines Tieropfers war Vergebung undenkbar. Daran knüpft etwa auch der Hebräerbrief an, freilich um jede Art von Opfer auch gleich wieder aufzuheben: Da Christus das letzte und ultimative Opfer erbringt, sind Opferungen fortan obsolet. Ein für christliche Theologie typischer Vorgang: ein Sachverhalt wird in der Vorstellungswelt der Adressaten ausgedrückt und gleichzeitig radikal verändert.

Dennoch: Vergebung ist völlig unabhängig vom Opfergedanken möglich. Es ist niemand anders als Jesus selbst, der das predigte und vorlebte. Als er deswegen von frommen Pharisäern angegriffen wurde, zitierte er eine Stelle beim Propheten Hosea, wo Gott spricht: „Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer“ (vgl. Matth. 9,9 ff).

Übrigens kommt auch Paulus in seinem berühmten „Wort vom Kreuz“ (1. Kor 1) ohne Opferidee aus. Und im Johannesevangelium ist das Heil gar nicht erst mit dem Tod Jesu verknüpft, sondern entspringt dem Glauben, d.h. dem Vertrauen in seine Person.

Die Bibel vertritt also –wie in ganz vielen Themenfeldern- auch in dieser Frage keine einheitliche Sichtweise. Wieso hat sich die Satisfaktionslehre dennoch durchgesetzt?

In hierarchisch strukturierten Gesellschaften, deren Mitglieder von Rechtsungleichheit und Abhängigkeitsverhältnissen geprägt sind –charakteristisch für die Antike und das Mittelalter- konnte die Überzeugung befreiend wirken, niemand Geringerer als der Gottessohn übernehme unsere Schuld, bzw. unsere Strafe. Das „Übernehmen“ wurde dabei wörtlich verstanden.
Seit der Aufklärung und dem Aufstieg des freien Bürgers aber ist die Opfertheologie zusehends in Misskredit geraten. Für Immanuel Kant etwa widerspricht eine stellvertretende Bestrafung geradezu dem modernen Rechtsempfinden, dem nur Genüge getan wird, wenn ein jeder selber für die eigene Schuld gerade steht. Aus diesem Grund lehnen wir heute ja z.B. die Sippenhaft ab.

Ist der Karfreitag nun also erledigt?
Nein. 
Wenn wir des Todes Christi gedenken, schauen wir auf einen Menschen, der bereit war, für seine Überzeugungen bis zum Äussersten zu gehen. Wir sehen einen Menschen, der  Opfer einer Intrige wurde, aber darauf verzichtete, als Opfer selber Täter zu werden. Ein Mensch, der seine Menschlichkeit bis zum Ende nicht aufgab.
Jesus lebte eine Leben für andere. Da er dafür Konflikte und sogar den Tod in Kauf nahm, lässt sich  auch sein Sterben als Konsequenz davon durchaus auch als ein Tod-für-Andere verstehen.
Schliesslich: Wenn in Jesus Gott präsent ist, so ist Gott selbst nicht nur Mensch geworden, sondern hat sich am Karfreitag in den schrecklichsten Abgrund menschlicher Existenz begeben. Gott führt nur deshalb aus dem Elend wieder hinaus, weil er selbst im Elend und im Leid gegenwärtig ist.  

Seelsorgerlich gesehen ist das Festmachen der Vergebung an ein Äusseres durchaus sinnvoll. Es GIBT Vergebung, ganz unabhängig davon, wie ich im Moment der Anfechtung darüber denke. Diesen Sachverhalt stellt die Sühneopferidee dar.  Und zwar  nach der (salopp gesagt) Grundregel jedes Drehbuchautors "show, don't tell". Die dramatische Ausgestaltung ist immer wirksamer als die blosse Behauptung, dass Gott vergibt.
Die einen tröstet also der Gedanke, Jesus habe unsere Schuld auf sich genommen als freiwilliges Opfer.

Andere bringen die Idee des Opfers nicht mit dem Bild eines liebenden Gottes in Einklang. Im Gegenteil kritisieren sie diese Idee. Und auch sie finden in der Bibel gewichtige Anhaltspunkte für ihre Kritik.
Ja, dass Gott Jesus nicht im Tod belassen hat, sondern zu Neuem Leben aufwerweckt, stellt für sie die lauteste und wichtigste Kritik an jeder Opferungslogik dar:

„Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer“.

Was bleibt?
Dass es keine menschliche Erfahrung gibt und keinen Bereich des Lebens, die gottfern wären. Mehr noch: vielleicht kann man Anselm -wenn man ihn vom juristischen Denken befreit- doch etwas abgewinnen. "Sünde" ist nicht einfach irgendeine Übertretung, sondern meint existenzielle Gottferne.
Wie ist diese Gottferne zu überwinden? Seitens der Menschen wird das schwierig. Der Karfreitag aber meint: GOTT SELBST überwindet die Entfremdung, und zwar, indem er sich genau in diesen Abgrund selber begibt. Seit Karfreitag dürfen wir uns des Pauluswortes gewiss sein:

"Denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm HERRN." (Röm 8,38-39)
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Bruno Amatruda

Freitag, 22. März 2013

MEMENTO - Der Opfer gedenken






In der Passionszeit gedenkt man der Leiden Christi. Da wurde einer unschuldig gepeinigt, gedemütigt und schliesslich am Kreuz zu Tode gequält.
Dabei geht es in der "Fastenzeit", wie man sie im Katholizismus nennt, nicht um irgendeine fromme Übung, um vor Gott besonders gut da zu stehen. 
Das „Fasten“ -in welcher Form auch immer- soll die Sinne schärfen. Unwesentliches darf für einmal zur Seite geschoben werden und dem Gedenken Platz machen. Christi Leiden zu gedenken, das heisst auch, aller unschuldigen Opfer zu gedenken. Der Sinn, den die Passions- oder Fastenzeit schärft, ist das genaue Hinschauen.

Dass man einen Sinn für die Opfer hat, ist nämlich alles andere als selbstverständlich.

Im Gegenteil ist notorisch damit zu rechnen, dass Opfer eben NICHT ernstgenommen,  nicht wahrgenommen werden.

Man mag es unserem Unwissen und unserer menschlichen Schwäche zurechnen, dass wir Opfer oft übersehen.
Ungeheuerlich ist hingegen, was passiert, wenn Opfer sich zu Wort melden. Wenn sie sich selber Gehör verschaffen.
Dann löst das bisweilen aggressive Reaktionen hervor.

Einer vergewaltigten Frau wird halt doch eine gewisse Mitschuld angekreidet. Auf den Malediven wird ein 15jähriges Opfer zu 100 Peitschenhieben verurteilt (hier gehts zur Petition). 
Ein amerikanischer Pfarrer  –mit sexuellen Übergriffen an seiner ehemaligen Hochschule konfrontiert- kehrt das Blatt um und beschuldigt die Nestbeschmutzer. Ein deutscher Historiker gibt bei Markus Lanz unwidersprochene "Weisheiten" zum Besten, wie die, dass  Juden auch irgendwie ein wenig Täter waren und die Nazis irgendwo auch Opfer. 
Man mag dieses Vorgehen eines mit Vorwürfen konfrontierten Täters als Verteidigungsstrategie auslegen. Überspitzt gesagt: Das Opfer ist für ihn die leib- und personhafte Anschauung seiner Schuld, die er abwehren muss. ("Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen", meinte Zvi Rex einmal.)  

Doch wie kommt es, dass sich Entführungsopfer Natascha Kampusch in ihrer Heimat dem Hass völlig unbeteiligter Personen ausgesetzt sieht?

Hier spielen psychologische Mechnismen eine Rolle. Das Leiden wird verdrängt. Manchmal auch das eigene Leiden - aus reinem Überlebenstrieb. Wenn dann das Verdrängte sich umso gewaltiger wieder bemerkbar macht, muss es abgewehrt werden. Lässt sich so die Abwehrhaltung gegenüber fremden Leid und die Verdrängung von Opfererfahrungen erklären?

Vielleicht. Die Passionszeit (Passion = Leiden) lädt dazu ein, eben NICHT zu verdrängen. Auch eigenes Leiden nicht. Vielleicht liegt dort der Schlüssel zur Empathie mit den Opfern. Wer eigene Opfererfahrungen nicht mehr abwehren muss, wird sensibel für das Leiden anderer. 
Dieser Prozess ist kein einfacher. Billiger ist neue Lebendigkeit aber nicht zu haben. 

Die Leidenszeit und der Karfreitag sind die Voraussetzungen für Ostern. Der Weg zur Auferstehung für zuerst in die Niederungen des Leids. Aber auch: der Weg durch die Niederungen –darauf dürfen wir getrost hoffen- führt zu neuem Leben.

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Bruno Amatruda unterrichtet Religion an einem Schweizer Gymnasium