Dienstag, 9. April 2013

TARDELLIS TOR: Eine ekstatische Erfahrung



Fussball mag für viele eine (Ersatz-)Religion sein. Andere sehen darin nur ein Riesengeschäft. Aber was erlebt ein Fussballer selbst im Moment des Triumphes oder der Niederlage?

Einen spannenden Einblick in einen solchen Moment gewährt uns Marco Tardelli in diesem kurzen Video.




Am 11. Juli 1982 standen sich Italien und Deutschland im WM-Endspiel gegenüber. Italien dominierte und lag bereits 1:0 vorne, als Tardelli in der 69. Minute den Ball an Toni Schumacher vorbei ins Tor schob. Sein anschliessender frenetischer Torjubel ging in die Geschichte ein. Für uns Tifosi war klar: DAS IST die Entscheidung, denn wie sollte Deutschland in 20 Minuten uns noch einholen können?
Es ist KAIROS, Entscheidungszeit! Das ist der Moment: JETZT, genau jetzt erleben wir Fussballgeschichte. Die allermeisten erlebten das zum ersten Mal in ihrem Leben als Fan (der letzte italienische Titel datierte von 1938).

Doch was erlebte Marco Tardelli in diesem Moment?
In seiner Erinnerung beschreibt er etwas, das im Ansatz einer Nahtoderfahrung ähnlich ist: „Ich dachte an meine Familie in Italien, an meine Brüder. Und dann sah ich mein ganzes Leben vor meinen Augen vorbeiziehen. Wie wenn man im Sterben liegt, sagt man. Ich sah mich selbst als kleinen Jungen, der anfing, Fussball zu spielen. In dem Moment  erreichte ich das Ziel, das jeder Junge anstrebt. – Eine wundervolle Erinnerung, die ich hoffentlich meinen Kindern weitergeben kann.“

Wir haben es hier mit einer exstatischen Erfahrung zu tun. Auch mit einer religiösen Erfahrung? Ich weiss es nicht.
Das „Setting“ einer solchen Veranstaltung –sei das Olympia, sei das eine Fussball-WM- trägt natürlich das Ausserordentliche bereits in sich. Nur alle vier Jahre treffen sich die besten der Welt, um die allerbesten zu küren.
Die Durchbrechung des Alltags, die Inszenierung und das Ritual, die Erwartung (einer Epiphanie?).... Solche Strukturelemente haben Sportfeste und religiöse Feste durchaus gemeinsam.

Die ekstatische Erfahrung aber, die kann man nicht „machen“. Die ereignet sich –oder eben nicht.
So mögen die nicht-Eingeweihten den Sport als Pseudoreligion, als potentiell gewalttätig oder als Geldmaschinerie abtun – genau so wie Religionsfeinde die Religion einseitig als Macht- und Unterdrückungsapparat sehen. Dem SUBJEKTIVEN ERLEBEN des Gläubigen oder des Sportlers kann dies in einem solchen Moment  nichts anhaben.
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Bruno Amatruda ist Religionslehrer (und Fussballfan)