Dienstag, 19. Februar 2013

Der arme Fotograf und die bösen Freikirchler

Es wäre ja gelacht, wenn man ausgerechnet die NZZ darüber aufklären müsste, was es mit Persönlichkeitsrechten auf sich hat. Oder etwa doch nicht?


Man stelle sich vor: Ein evangelikaler Fotograf will einen Bildband über einen Schwulenclub veröffentlichen. Im Zuge dessen klagen einige der Abgebildeten mit Rekurs auf das „Recht am eigenen Bild“. Die Veröffentlichung des Bands wird provisorisch gestoppt. Der Fotograf versteht die Welt nicht mehr. Es gehe ihm überhaupt nicht darum, die Individuen an den Pranger zu stellen. Es gehe um darum, das System hinter dieser Lebensweise auszuleuchten. Und so weiter und so fort. Wie würde wohl eine Zeitung hierzulande über einen solchen Fall berichten? Wäre mit Schlagzeilen wie „Zensurversuche von Schwulen“ zu rechnen? Hoffentlich nicht. Denn ob es Schwule, Evangelikale oder Kaninchenzüchter sind, die auf das Recht am eigenen Bild klagen, ist in einem solchen Fall nebensächlich – sollte man meinen. Liest man aber den Artikel „Zensurversuche von Freikirchlern“ (NZZ vom 13.2.2013), kommen einem Zweifel.


Geht es nämlich um Angehörige einer Freikirche, geht es plötzlich nicht um die Inanspruchnahme von Persönlichkeitsrechten, sondern um „Zensur“ bzw. „Zensurversuche“. Aber dieser tendenziöse Begriff ist hier fehl am Platz. Zensurieren weckt Assoziationen an totalitäre Regimes, die den freien Informationsaustausch einschränken, und es wäre für Religionsverächter natürlich nur allzu schön, wenn die zum  Freikirche ICF gegen die Veröffentlichung unliebsamen Bildmaterials klagen würde. Nur leider leider scheint der Fall so nicht zu liegen. Es ist nicht der ICF, sondern es sind verschiedene Individuen, die ihr Recht am eigenen Bild einklagen. Insofern hätte sich die Autorin auch den Verweis auf das „ausgeklügelte visuelle Marketing“ der Freikirche sparen können. Darum geht es in dieser Sache nicht. Es geht einzig und allein darum, ob ein Individuum das Recht hatte, Bilder von anderen Individuen in Buchform zu veröffentlichen. Aber das klingt natürlich etwas weniger spektakulär als ein Konflikt eines mutigen Künstlers, der von einer mächtigen Institution daran gehindert werden soll, entlarvende Bilder zu veröffentlichen. Wer mächtig und wer ohnmächtig ist, ist aber in diesem Fall nicht so klar. Das Recht am eigenen Bild schützt gerade das potentiell machtlose und in einer Mediengesellschaft höchst fragile Individuum. Ein solches Recht ist keine Trivialität. Gerade der NZZ, der selbsternannten Hüterin liberaler Werte, würde es gut anstehen, das ihren Mitarbeitern mitzugeben, denn der unbedingte Vorrang des Individuums vor irgendwelchen Kollektiven gehört zu den Kerngedanken des politischen Liberalismus. Die Menschen, die hier klagen, nehmen ihre subjektiven Rechte in Anspruch. Dass sie Mitglieder einer Freikirche sind, ist für das Problem, um das es geht, schlechterdings irrelevant. Vor allem aber: Es gibt keinerlei ersichtlichen Grund, hier von „Zensur“ zu reden. Es mutet ähnlich absurd an, wie wenn ein Paparazzi, der Schnappschüsse eines Promis als Buch veröffentlichen will, „Zensur, Zensur!“ schreien würde. Oder wie wenn eine Medizinerin sich darüber beklagen würde, dass sie sensible Patientendaten nicht ohne deren Einwilligung veröffentlichen darf. Zensur?


Vielleicht lohnt sich in diesem Zusammenhang auch der Hinweise, dass es völlig irrelevant ist, ob die Bilder „objektiv gesehen“ in irgendeiner Weise besonders heikel, peinlich oder entwürdigend sind; und auch, ob die Begründung, warum ich nicht abgebildet werden soll, in irgendeiner Weise nachvollziehbar ist, ist schlicht irrelevant, und dass ich auf Facebook Bilder von mir in Badehose poste, gibt anderen ebenfalls noch nicht das Recht, nun ohne meine Einwilligung einen Fotoband mit Schnappschüssen von mir in Badehose zu veröffentlichen. Leider scheint auch der besagte Fotograf diesbezüglich falsch informiert zu sein. Leute hätten sich durch seine Bilder „plötzlich anders gesehen, als sie gesehen werden wollten“, gibt er weiter zu Protokoll. Ja, und genau das gibt ihnen das Recht, gegen die Veröffentlichung vorzugehen, möchte man anfügen. Statt dem Künstler an den Lippen zu hängen und ihm doch beträchtlichen Raum für sein (subjektiv völlig verständliches) Wehklagen zu geben, hätte die Journalistin besser einmal kritisch nachgefragt, warum er denn die Bilder den Abgebildeten vor dem Druck nicht vorgelegt und das Recht zur Veröffentlichung nicht explizit eingeholt habe.


Es ist verständlich, dass die Sympathien in dieser Angelegenheit der Autorin einseitig verteilt sind. Aber doch fragt sich, ob es nicht Aufgabe einer kritischen und unabhängigen Journalistin eines internationalen Traditionsblatts wäre, den Sachverhalt ausgewogener darzustellen. Oder ist objektive und faire Berichterstattung, wenn es um Religion geht, hier und heute bereits zu viel verlangt? Hat das Tagi-Niveau in Sachen Religions-Bashing, wöchentlich vorexerziert durch Hugo Stamm und Konsorten, nun bereits die Falkenstrasse erreicht? Religionskritik, insbesondere Kritik an tendenziell totalitären Formen von Religion, mag ein nobles, gerade auch liberales Anliegen sein. Auch journalistische Kritik am ICF – sei es etwa in einem Kommentar, sei es durch eine Reportage – ist völlig legitim und meines Erachtens auch sachlich gefordert. Nur ist der geschilderte Konflikt, wenn ich recht sehe, kein geeigneter Aufhänger für solche Kritik, ja diese kippt selber in einen Ausdruck mangelnden Respekts vor den Rechten Anderer.


Wenn fundamentale Persönlichkeitsrechte – und dazu zählt in einer Mediengesellschaft gerade das Recht am eigenen Bild – zur Nebensache erklärt werden, sobald sie die Rechte von unliebsamen Menschen sind, so gibt das zu denken. Aber wenn’s darum geht, auf böse Religiöse zu hauen – selbstverständlich im festen Glauben, auf der Seite der „Guten“ gegen Intoleranz und Konservatismus zu kämpfen –, scheint auch hierzulande je länger je mehr fast jedes journalistische Mittel recht zu sein.


Und noch ein Letztes: Nach der Lektüre dieses Artikels fragt man sich, ob es nicht vielleicht eine weise Entscheidung dieser Leute war, gegen die Veröffentlichung der Bilder Einspruch zu erheben. Denn ist jene Einstellung gegenüber religiösen Gemeinschaften, wie sie die Autorin in diesem Artikel vor Augen führt, gesellschaftlich auf dem Vormarsch, so fragt es sich, ob etwa ein Jugendlicher auf Lehrstellensuche nicht gut daran tut, sich nicht als ICF-Besucher zu outen. Immerhin scheint das kein besonders gutes Licht auf seine Persönlichkeit zu werfen, wenn jemand ein „Freikirchler“ ist.





Hier der Link zum Text in der NZZ:
http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/zensurversuche-von-freikirchlern-1.17998392


Freitag, 15. Februar 2013

Der Weg, die Klarheit und das Label








Samuel Jakob regt in der Reformierten Presse theologische Stellungnahmen der Kirchenleitung (in Zusammenarbeit mit den theologischen Fakultäten) an.

Er fragt sich, warum etwa die Reformierten zur Satisfaktionslehre der Evangelischen Allianz SEA schweigen. 
Nun, das scheint mir auf der Hand zu liegen:
Weil die Landeskirche es sich nicht mit den Evangelikalen verscherzen will. Nichts fürchtet man so sehr, wie Kirchenaustritte. Daher gilt die Devise suum cuique; jedem das Seine. Wenn in der Stadt  schamanische Rituale abgehalten werden können, dann sollen die auf dem Land kaschierte Wiedertaufen durchführen dürfen. Und wenn die eine Gemeinde die pfingstlerische Theologie des Alphalivekurses importieren darf, darf die andere Tiere segnen und politischen Aktivisten Asyl gewähren. Die Verantwortung liegt ja bei der einzelnen Gemeinde, und die Kirchenleitung ist fein raus. Ein Profil, eine Positionierung, ein einheitliches Image, eine Marke, ein Label ist allerdings das letzte, was dabei heraus kommt.

Die von Jakob diagnostizierte inhaltlich Krise der Kirchen  hat auch strukturelle Ursachen. Natürlich, im Pfarramt bleibt vor lauter Administrationsarbeit kaum noch Zeit für theologische Debatten. Vor allem aber: Solange die Finanzen den courant normal erlauben, besteht keine Notwendigkeit, sich mit inhaltlichen Fragen auseinander zu setzen. Jedes Pfarramt kann seinem Alltagsgeschäft nachgehen, und zu tun gibt es ja mehr als genug. 
Vielleicht wird die Finanznot es notwendig machen, sich klarer zu positionieren. 
In Basel-Stadt wurde aus diesem Grund das Territorialprinzip aufgegeben und die Bildung von theologisch ausdifferenzierten (Gesinnungs-)Gemeinden gefördert.

In den USA laufen solche Profilierungsprozesse seit längerem. So haben sich liberal-soziale Kirchen eine 8-Punkte-Charta gegeben unter dem Label "Progressive Christianity". Sie bekennen sich zum Inklusivismus als Antwort auf exklusivistische konservative  und evangelikale Gemeinden.

Unter dem Dach der Landeskirche soll hierzulande alles Platz haben. Das ist ein Entscheid, den man gutheissen kann. In der Praxis bestehen zwar immer schon gemeindetypische oder je nach Pfarrperson divergierende theologische Schwerpunkte (siehe oben). Nur transparent ist das für den Kirchenfernen nicht. 
Wieso aber kann ich als Gläubiger, ja als "Kunde" diese Position nicht an einem Label erkennen? 

Die Angst vor dem Label erfasst ja bereits manche Pfarrperson. Ich habe schon mit evangelikalen Pfarrern gesprochen, die das Wort "evangelikal" zornig von sich wiesen. Und mit liberalen, die sich nicht als "liberal" schubladisieren lassen wollten. Der beste war ein Kollege, der seiner Spiritualität -weil wortlos- partout keine Bezeichnung angedeihen lassen wollte. Mehr als "etwas mit Kerzen" war ihm nicht zu entlocken.

Wenn also schon die Theologen Mühe haben, Farbe zu bekennen (warum bloss?), wie können wir erwarten, dass jemals ein "gemeinsames" Bekenntnis zustande kommt?
Bekennen heisst immer auch, sich abgrenzen. Dabei geht es nicht darum, das eine gegen das andere auszuspielen. Sondern um Profilbildung und Transparenz. Ich bin erzliberal und habe gute Freunde in der FEG. Zum Predigen laden sie mich natürlich nicht ein, aber Freunde bleiben wir trotzdem; und just, dass wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede benennen, ja sogar augenzwinkernd "labeln" können, macht das Ganze verständlicher. 

Samuel Jakobs Vorschläge regen Debatten an und sind höchst bedenkenswert. Mit der theologischen Klärung beginnt jeder am besten bei sich selbst.
Auf dem Weg sind wir alle. Hoffentlich mit Klarheit. Und warum nicht: mit Label.

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Bruno Amatruda ist Religionslehrer an einer Zürcher Kantonsschule