Genug ist genug! Ein halbes Jahrtausend.
Was hat denn die Reformation in der Zeit erreicht?
Klar, sie hat das Gewissen des Einzelnen über die kirchlichen Institutionen gestellt: zwischen Mensch und Gott vermittelt kein Priester und keine Kirche. Aber nun dankt es ihr das Kirchenvolk, indem es von seiner Freiheit auch Gebrauch macht, Nähe oder Distanz zur Kirche selbst bestimmt - sogar, ob es ohne Kirche glücklich wird, sprich: aus der Kirche austritt (denn zwischen Mensch und Gott vermittelt keine Kirche - auch keine reformierte).
Ok, sie hat das eigenständige Bibellesen gefördert und damit nicht nur die Alphabetisierung und die Demokratisierung der Bildung voran getrieben, sondern auch die Freiheit der Interpretation.
Das Resultat waren zahllose Abspaltungen, Gruppen und Sekten.
Sie hat die Würde des Einzelnen zum Zentrum erklärt (Adolf v. Harnack). Das führte zur Freiheit des Individuums. Und diese wiederum zum ach so schlimmen Individualismus.
Sie hat die Bibel zum alleinigen Massstab erhoben. Doch das präzise Studium der Bibel mündete zwangsläufig in die historisch-kritische Methode. Diese müssen angehende Pfarrer erlernen, im Gemeindeleben ist sie aber nur in homöopathischen Dosen zu verabreichen. (Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Exegeten).
Sie hat das "Priestertum aller Gläubigen" ausgerufen, die Unterscheidung zwischen Laien und "Geistlichen" aufgehoben und sogar Frauen zum Pfarramt zugelassen - also Folge davon ist eine "Feminisierung der Kirche" (SEK-Präsident Locher) zu befürchten.
In 500 Jahren hat die Reformation ganze Arbeit geleistet und ist nun daran, sich selber abzuschaffen.
Das "Salz der Erde" hat die Gesellschaft durchdrungen, gewürzt und verfeinert und sich dabei scheinbar aufgelöst. Ein für Salzkristalle üblicher Vorgang. Religionssoziologen sprechen von der "Unlesbarkeit" der Reformierten. Vielleicht hat das aber mit den Soziologen zu tun: Statt Salz zu lesen, sollte man es schmecken.
Sei's drum. Das alles schmerzt das Kirchenvolk nicht im mindesten. Im Gegenteil. Wenn der Arzt gut war, ist man wieder gesund und braucht ihn im Moment nicht mehr. Aber es schmerzt den Arzt, dem die Arbeit ausgeht. (Dabei zeigte die Kirchensteuerinitiative, dass das Volk froh um den Arzt ist).
So ist es vor allem das professionelle Personal, das über die eigene Effizienz erschrickt und am liebsten vieles (wenn nicht alles) rückgängig machen möchte:
Ist es ein Zufall, dass parallel zu den Vorbereitungen auf das 500 Jahr-Jubiläum die Einführung des reformierten Bischofsamtes diskutiert wird?
Dass gewisse Synodale die Befreiung vom Apostolikum (im 19. Jhdt.) beklagen? Dass der Ruf nach agendarischen Gottesdienstordnungen und einheitlichen Liturgien laut wird?
Dass eine Vergeistlichung des Pfarramts postuliert wird (vgl. H. Pachmanns und P. B. Rothens Schriften zum Pfarramt) und jemand sogar die Beichte für Protestanten wieder ins Gespräch bringt (P. Zimmerling, zum Glück in Deutschland)?
Die Reformation hatte sich von Beginn weg an zwei Fronten abzuarbeiten: der katholischen und der täuferischen. Ein 500jähriger Verschleisskampf macht müde. Das erklärt für mich die Rekatholisierungstendenzen und die immer grösseren Konzessionen an die selbst ernannten Nachfolger der Täufer, die sich "bibeltreu" nennen. Nirgends fand ich beides schöner vereint, als in einer Passage aus dem Buch "Gottfried Locher. Der 'reformierte Bischof' auf dem Prüfstand". Der oberste Repräsentant der Reformierten erklärt darin biblische Wunder mit dem Durchbrechen von Naturgesetzen und hält die Jungfrauengeburt für ein ebensolches Wunder.
Vor vielen Jahren fragte mich meine italienische (katholische) Cousine: "Du bist Protestant? Das sind doch die, die nicht an die Jungfrau glauben?". Tja, liebe Cousine, das war früher.
Die Reformation darf sich jetzt zur Ruhe setzen. 500 Jahre sind genug.
Bruno Amatruda
Lieber Bruno, deine Kolumne im neusten bref gefällt mir, danke für diesen Beitrag! Ruedi Heinzer
AntwortenLöschenVielen Dank, Ruedi! Freut mich doch!
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