Martin Miller beschreibt in "Das wahre Drama des begabten Kindes" seine Kindheit als Sohn der berühmten Alice Miller. Dass die Schweizer Kindheitsforscherin als Mutter den eigenen Erziehungspostulaten alles andere als entsprochen hat, mag hartgesottene Fans schockieren. Sohn Martin, selbst Psychotherapeut, rekonstruiert dabei die Kindheitstraumata der im Warschauer Ghetto aufgewachsenen Alice Miller und kann das Erlittene als transgenerationales Trauma verarbeiten. Trotz der bisweilen beklemmenden Schilderungen; nie hat man das Gefühl, hier rechne einer mit seinen prominenten Eltern ab. Vielmehr liefert der Autor -welcher an der Theorie der Mutter grossmehrheitlich festhält und sie gleichsam an seiner eigenen Biographie erprobt- ein anschauliches Beispiel, wie Millers Ideen in der Praxis umgesetzt, geprüft und erweitert werden können. Ein so aufrüttelndes wie lehrreiches Buch.
Hans-Martin Barths Buch "Konfessionslos glücklich" las ich mit viel Gewinn. Es hält Forschungsergebnisse und Analysen parat, die sich mit alltäglichen Beobachtungen all jener decken, die sich nicht ausschliesslich im kirchlichen Binnenraum bewegen: die meisten Menschen in unserem Kulturkreis sind weder dezidiert atheistisch noch dezidiert religiös. Sie schwanken vielmehr zwischen areligiös (d.h. and religiösen Fragen schlicht uninteressiert) und "spirituell-aber-nicht-religiös"- in Holland etwa die "Etwasisten". Solche Menschen glauben, es gebe da "Etwas", aber scheuen sich partout vor näheren Bestimmungen. Ihr Merkmal ist die institutionelle Ungebundenheit.
Statt den Zustand zu beklagen und z.B. Areligiösen ein existenzielles Manko anzudichten (weil der Mensch angeblich "unheilbar religiös" sei), nimmt Barth die Fakten auf und bringt Bonhoeffer ins Spiel. Aller angeblichen "Wiederkehr der Religion" zum Trotz (-welche m.E. in unseren Breitengraden eh nur ein mediales Phänomen war) überlegt sich der Autor, wie Bonhoeffers unvollendetes Programm der nichtreligiösen Interpretation theologischer Begriffe konkret umzusetzen wäre. Ein Buch, das zum Weiterdenken anregt. Und das den Herausforderungen, vor denen die evangelischen Kirchen stehen, grundsätzlich -und nicht einfach nur strukturell-organisatorisch- begegnen will.
An einer Stelle zitiert Barth -für einen ehemaligen Theologieprofessor doch unüblich- den Franziskaner Richard Rohr. Das ist kein Zufall, denn Rohrs Publikum dürfte sich in grossen Teilen aus jenen spirituell Suchenden und kirchlich Offenen bis Distanzierten zusammensetzen, die Barth in seinem Buch beschreibt.
In "Das Wahre selbst. Werden, wer wir wirklich sind." richtet sich Richard Rohr explizit an Gläubige und Nichtgläubige. Obwohl er seinen katholischen Hintergrund immer wieder ins Spiel bringt, sind die Erfahrungen, auf die er abzielt, auch (womöglich erst recht) jenseits dogmatischer und religiöser Grenzen möglich. D.h. sie stehen allen Menschen guten Willens offen. Das Buch beschreibt das Ziel der kontemplativen Wege und das eigentliche Ziel jeder Religion: das wahre Selbst zu entdecken und dem falschen Selbst abzusterben. Das Buch ist keine Anleitung zur Kontemplation (wenngleich durchaus eine Ermutigung), sondern setzt sie vielmehr voraus. Ein paar Schwächen sind zu anzumerken; viel Namedropping, viele unnötige Zitate, etwas Sprunghaftes. Ausserdem eine Breitseite gegen die Psychologie (wieso eigentlich?), statt einer sauberen begrifflichen Abgrenzung; wo doch die Rede vom "falschen Selbst/wahren Selbst" sehr wohl auch eine psychologische Geschichte (Winnicott, Kohut) aufweist.
Die Stärke des Buches sind die biblischen Verweise. Ob man nun selbst Meditationserfahrung hat oder nicht; wie Rohr biblische Geschichten, Gleichnisse und theologische Gemeinplätze aus seiner mystisch-kontemplativen Warte aus interpretiert, ist überraschend, erfrischend und kommt m.E. der "nichtreligiösen Interpretation religiöser Begriffe" sehr nahe. Ein im wahren Sinne des Wortes erbauliches Buch.
Bruno Amatruda unterrichtet Religion am Gymnasium
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