Freitag, 22. März 2013

MEMENTO - Der Opfer gedenken






In der Passionszeit gedenkt man der Leiden Christi. Da wurde einer unschuldig gepeinigt, gedemütigt und schliesslich am Kreuz zu Tode gequält.
Dabei geht es in der "Fastenzeit", wie man sie im Katholizismus nennt, nicht um irgendeine fromme Übung, um vor Gott besonders gut da zu stehen. 
Das „Fasten“ -in welcher Form auch immer- soll die Sinne schärfen. Unwesentliches darf für einmal zur Seite geschoben werden und dem Gedenken Platz machen. Christi Leiden zu gedenken, das heisst auch, aller unschuldigen Opfer zu gedenken. Der Sinn, den die Passions- oder Fastenzeit schärft, ist das genaue Hinschauen.

Dass man einen Sinn für die Opfer hat, ist nämlich alles andere als selbstverständlich.

Im Gegenteil ist notorisch damit zu rechnen, dass Opfer eben NICHT ernstgenommen,  nicht wahrgenommen werden.

Man mag es unserem Unwissen und unserer menschlichen Schwäche zurechnen, dass wir Opfer oft übersehen.
Ungeheuerlich ist hingegen, was passiert, wenn Opfer sich zu Wort melden. Wenn sie sich selber Gehör verschaffen.
Dann löst das bisweilen aggressive Reaktionen hervor.

Einer vergewaltigten Frau wird halt doch eine gewisse Mitschuld angekreidet. Auf den Malediven wird ein 15jähriges Opfer zu 100 Peitschenhieben verurteilt (hier gehts zur Petition). 
Ein amerikanischer Pfarrer  –mit sexuellen Übergriffen an seiner ehemaligen Hochschule konfrontiert- kehrt das Blatt um und beschuldigt die Nestbeschmutzer. Ein deutscher Historiker gibt bei Markus Lanz unwidersprochene "Weisheiten" zum Besten, wie die, dass  Juden auch irgendwie ein wenig Täter waren und die Nazis irgendwo auch Opfer. 
Man mag dieses Vorgehen eines mit Vorwürfen konfrontierten Täters als Verteidigungsstrategie auslegen. Überspitzt gesagt: Das Opfer ist für ihn die leib- und personhafte Anschauung seiner Schuld, die er abwehren muss. ("Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen", meinte Zvi Rex einmal.)  

Doch wie kommt es, dass sich Entführungsopfer Natascha Kampusch in ihrer Heimat dem Hass völlig unbeteiligter Personen ausgesetzt sieht?

Hier spielen psychologische Mechnismen eine Rolle. Das Leiden wird verdrängt. Manchmal auch das eigene Leiden - aus reinem Überlebenstrieb. Wenn dann das Verdrängte sich umso gewaltiger wieder bemerkbar macht, muss es abgewehrt werden. Lässt sich so die Abwehrhaltung gegenüber fremden Leid und die Verdrängung von Opfererfahrungen erklären?

Vielleicht. Die Passionszeit (Passion = Leiden) lädt dazu ein, eben NICHT zu verdrängen. Auch eigenes Leiden nicht. Vielleicht liegt dort der Schlüssel zur Empathie mit den Opfern. Wer eigene Opfererfahrungen nicht mehr abwehren muss, wird sensibel für das Leiden anderer. 
Dieser Prozess ist kein einfacher. Billiger ist neue Lebendigkeit aber nicht zu haben. 

Die Leidenszeit und der Karfreitag sind die Voraussetzungen für Ostern. Der Weg zur Auferstehung für zuerst in die Niederungen des Leids. Aber auch: der Weg durch die Niederungen –darauf dürfen wir getrost hoffen- führt zu neuem Leben.

-----------------------------------------------------------------------------------------------

Bruno Amatruda unterrichtet Religion an einem Schweizer Gymnasium






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen