Für viele steht und fällt das Christentum mit dem
Opfertod Christi. Dass Jesus "für unsere Sünden" gestorben sei, mache
das Wesentliche unseres Glaubens aus. Im 11 Jhdt. stellte Anselm von
Canterbury die These auf, dass nur die Opferung des Gottessohnes für uns
Vergebung und Erlösung bei Gott erwirken könne, indem dieser unsere
Strafe auf sich nimmt.
(Zitat aus dem Wikipedia-Artikel : "Nach dieser Theorie war der Tod Jesu als Sühnopfer nötig, um eine angemessene Wiedergutmachung für die Verletzung der Ehre Gottes zu leisten, die durch den Sündenfall der Menschen geschehen sei. Für Gott habe es nur die Alternative gegeben „entweder Strafe“ (aut poena), d.h. die Vernichtung der gesamten Menschheit „oder Wiedergutmachung“ (aut satisfactio) durch eine die Sünde aufwiegende Ersatzleistung. Damit die Ersatzleistung aber schwergewichtiger als die Menschheitssünde sein konnte, war es nötig, dass Gott selbst Mensch wurde, um nun – als selbst Sündloser – in der menschlichen Gestalt Jesu Christi sein Leben als satisfactio für die Sünden der Menschen dahin zu geben.") http://de.wikipedia.org/wiki/Satisfaktionslehre
Befriedigt diese Theorie? Tröstet sie unser
Gewissen? Oder führt sie uns in Konflikt mit unserem Gottesbild und
unserem Gerechtigkeitssinn?
Gott vergibt, ja. Aber MUSS
er hierfür seinen Sohn unschuldig töten lassen? Ist das dann noch ein
liebender Gott?
Sogar wenn wir mit Anselm sagen, Gott selbst habe
am Kreuz gehangen, bleibt die Frage: wozu die ganze Inszenierung? Kann
Gott nicht EINFACH SO VERGEBEN?
Schliesslich die Frage: entspricht diese Art von Opfertheologie eigentlich der Bibel?
Die Antwort ist Ja und Nein. Allerdings mehr Nein als Ja.
Es gibt zwar tatsächlich an einigen Stellen die
Vorstellung eines Sühneopfers. Wobei aber nicht Gott versöhnt werden
muss, sondern der Mensch (vgl. 2. Kor 5). Zu beachten ist dabei, dass das jüdische
Vorverständnis von Versöhnung und Entschuldung mit dem Opfergedanken
verknüpft ist. Ohne Darbringung eines Tieropfers war Vergebung
undenkbar. Daran knüpft etwa auch der Hebräerbrief an, freilich um jede
Art von Opfer auch gleich wieder aufzuheben: Da Christus das letzte und
ultimative Opfer erbringt, sind Opferungen fortan obsolet. Ein für
christliche Theologie typischer Vorgang: ein Sachverhalt wird in der
Vorstellungswelt der Adressaten ausgedrückt und gleichzeitig radikal
verändert.
Dennoch: Vergebung ist völlig unabhängig vom
Opfergedanken möglich. Es ist niemand anders als Jesus selbst, der das
predigte und vorlebte. Als er deswegen von frommen Pharisäern
angegriffen wurde, zitierte er eine Stelle beim Propheten Hosea, wo Gott
spricht: „Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer“
(vgl. Matth. 9,9 ff).
Übrigens kommt auch Paulus in seinem berühmten „Wort
vom Kreuz“ (1. Kor 1) ohne Opferidee aus. Und im Johannesevangelium ist
das Heil gar nicht erst mit dem Tod Jesu verknüpft, sondern entspringt
dem Glauben, d.h. dem Vertrauen in seine Person.
Die Bibel vertritt also –wie in ganz vielen
Themenfeldern- auch in dieser Frage keine einheitliche Sichtweise. Wieso hat
sich die Satisfaktionslehre dennoch durchgesetzt?
In hierarchisch strukturierten Gesellschaften,
deren Mitglieder von Rechtsungleichheit und Abhängigkeitsverhältnissen
geprägt sind –charakteristisch für die Antike und das Mittelalter-
konnte die Überzeugung befreiend wirken, niemand Geringerer als der
Gottessohn übernehme unsere Schuld, bzw. unsere Strafe. Das „Übernehmen“
wurde dabei wörtlich verstanden.
Seit der Aufklärung und dem Aufstieg des freien
Bürgers aber ist die Opfertheologie zusehends in Misskredit geraten. Für
Immanuel Kant etwa widerspricht eine stellvertretende Bestrafung
geradezu dem modernen Rechtsempfinden, dem nur Genüge getan wird, wenn
ein jeder selber für die eigene Schuld gerade steht. Aus diesem Grund
lehnen wir heute ja z.B. die Sippenhaft ab.
Ist der Karfreitag nun also erledigt?
Nein.
Wenn wir des Todes Christi gedenken, schauen wir auf einen Menschen, der bereit war, für seine Überzeugungen bis zum Äussersten zu gehen. Wir sehen einen Menschen, der Opfer einer Intrige wurde, aber darauf verzichtete, als Opfer selber Täter zu werden. Ein Mensch, der seine Menschlichkeit bis zum Ende nicht aufgab.
Jesus lebte eine Leben für andere. Da er dafür Konflikte und sogar den Tod in Kauf nahm, lässt sich auch sein Sterben als Konsequenz davon durchaus auch als ein Tod-für-Andere verstehen.
Schliesslich: Wenn in Jesus Gott präsent ist, so ist Gott selbst nicht nur Mensch geworden, sondern hat sich am Karfreitag in den schrecklichsten Abgrund menschlicher Existenz begeben. Gott führt nur deshalb aus dem Elend wieder hinaus, weil er selbst im Elend und im Leid gegenwärtig ist.
Schliesslich: Wenn in Jesus Gott präsent ist, so ist Gott selbst nicht nur Mensch geworden, sondern hat sich am Karfreitag in den schrecklichsten Abgrund menschlicher Existenz begeben. Gott führt nur deshalb aus dem Elend wieder hinaus, weil er selbst im Elend und im Leid gegenwärtig ist.
Seelsorgerlich gesehen ist das Festmachen der Vergebung an ein Äusseres durchaus sinnvoll. Es GIBT Vergebung, ganz unabhängig davon, wie ich im Moment der Anfechtung darüber denke. Diesen Sachverhalt stellt die Sühneopferidee dar. Und zwar nach der (salopp gesagt) Grundregel jedes Drehbuchautors "show, don't tell". Die dramatische Ausgestaltung ist immer wirksamer als die blosse Behauptung, dass Gott vergibt.
Die einen tröstet also der Gedanke, Jesus habe unsere Schuld auf sich genommen als freiwilliges Opfer.
Andere bringen die Idee des Opfers nicht mit dem Bild eines liebenden Gottes in Einklang. Im Gegenteil kritisieren sie diese Idee. Und auch sie finden in der Bibel gewichtige Anhaltspunkte für ihre Kritik.
Ja, dass Gott Jesus nicht im Tod belassen hat, sondern zu Neuem Leben aufwerweckt, stellt für sie die lauteste und wichtigste Kritik an jeder Opferungslogik dar:
„Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer“.
Was bleibt?
Dass es keine menschliche Erfahrung gibt und keinen Bereich des Lebens, die gottfern wären. Mehr noch: vielleicht kann man Anselm -wenn man ihn vom juristischen Denken befreit- doch etwas abgewinnen. "Sünde" ist nicht einfach irgendeine Übertretung, sondern meint existenzielle Gottferne.
Wie ist diese Gottferne zu überwinden? Seitens der Menschen wird das schwierig. Der Karfreitag aber meint: GOTT SELBST überwindet die Entfremdung, und zwar, indem er sich genau in diesen Abgrund selber begibt. Seit Karfreitag dürfen wir uns des Pauluswortes gewiss sein:
"Denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm HERRN." (Röm 8,38-39)
Wie ist diese Gottferne zu überwinden? Seitens der Menschen wird das schwierig. Der Karfreitag aber meint: GOTT SELBST überwindet die Entfremdung, und zwar, indem er sich genau in diesen Abgrund selber begibt. Seit Karfreitag dürfen wir uns des Pauluswortes gewiss sein:
"Denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm HERRN." (Röm 8,38-39)
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Bruno Amatruda