Es wäre ja gelacht, wenn man ausgerechnet die NZZ darüber aufklären müsste, was es mit Persönlichkeitsrechten auf sich hat. Oder etwa doch nicht?
Man stelle sich vor: Ein
evangelikaler Fotograf will einen Bildband über einen Schwulenclub
veröffentlichen. Im Zuge dessen klagen einige der Abgebildeten mit Rekurs auf
das „Recht am eigenen Bild“. Die Veröffentlichung des Bands wird provisorisch
gestoppt. Der Fotograf versteht die Welt nicht mehr. Es gehe ihm überhaupt
nicht darum, die Individuen an den Pranger zu stellen. Es gehe um darum, das
System hinter dieser Lebensweise auszuleuchten. Und so weiter und so fort. Wie
würde wohl eine Zeitung hierzulande über einen solchen Fall berichten? Wäre mit
Schlagzeilen wie „Zensurversuche von Schwulen“ zu rechnen? Hoffentlich nicht.
Denn ob es Schwule, Evangelikale oder Kaninchenzüchter sind, die auf das Recht
am eigenen Bild klagen, ist in einem solchen Fall nebensächlich – sollte man
meinen. Liest man aber den Artikel „Zensurversuche von Freikirchlern“ (NZZ vom
13.2.2013), kommen einem Zweifel.
Geht es nämlich um Angehörige
einer Freikirche, geht es plötzlich nicht um die Inanspruchnahme von
Persönlichkeitsrechten, sondern um „Zensur“ bzw. „Zensurversuche“. Aber dieser
tendenziöse Begriff ist hier fehl am Platz. Zensurieren weckt Assoziationen an
totalitäre Regimes, die den freien Informationsaustausch einschränken, und es
wäre für Religionsverächter natürlich nur allzu schön, wenn die zum
Freikirche ICF gegen die Veröffentlichung unliebsamen Bildmaterials klagen
würde. Nur leider leider scheint der Fall so nicht zu liegen. Es ist nicht der
ICF, sondern es sind verschiedene Individuen, die ihr Recht am eigenen Bild
einklagen. Insofern hätte sich die Autorin auch den Verweis auf das
„ausgeklügelte visuelle Marketing“ der Freikirche sparen können. Darum geht es
in dieser Sache nicht. Es geht einzig und allein darum, ob ein Individuum das
Recht hatte, Bilder von anderen Individuen in Buchform zu veröffentlichen. Aber
das klingt natürlich etwas weniger spektakulär als ein Konflikt eines mutigen
Künstlers, der von einer mächtigen Institution daran gehindert werden soll,
entlarvende Bilder zu veröffentlichen. Wer mächtig und wer ohnmächtig ist, ist
aber in diesem Fall nicht so klar. Das Recht am eigenen Bild schützt gerade das
potentiell machtlose und in einer Mediengesellschaft höchst fragile Individuum.
Ein solches Recht ist keine Trivialität. Gerade der NZZ, der selbsternannten
Hüterin liberaler Werte, würde es gut anstehen, das ihren Mitarbeitern
mitzugeben, denn der unbedingte Vorrang des Individuums vor irgendwelchen
Kollektiven gehört zu den Kerngedanken des politischen Liberalismus. Die
Menschen, die hier klagen, nehmen ihre subjektiven
Rechte in Anspruch. Dass sie Mitglieder einer Freikirche sind, ist für das
Problem, um das es geht, schlechterdings irrelevant. Vor allem aber: Es gibt
keinerlei ersichtlichen Grund, hier von „Zensur“ zu reden. Es mutet ähnlich
absurd an, wie wenn ein Paparazzi, der Schnappschüsse eines Promis als Buch
veröffentlichen will, „Zensur, Zensur!“ schreien würde. Oder wie wenn eine Medizinerin sich darüber beklagen würde, dass sie sensible Patientendaten nicht ohne deren Einwilligung veröffentlichen darf. Zensur?
Vielleicht lohnt sich in
diesem Zusammenhang auch der Hinweise, dass es völlig irrelevant ist, ob die
Bilder „objektiv gesehen“ in irgendeiner Weise besonders heikel, peinlich oder
entwürdigend sind; und auch, ob die Begründung, warum ich nicht abgebildet
werden soll, in irgendeiner Weise nachvollziehbar ist, ist schlicht irrelevant,
und dass ich auf Facebook Bilder von mir in Badehose poste, gibt anderen
ebenfalls noch nicht das Recht, nun ohne meine Einwilligung einen Fotoband mit
Schnappschüssen von mir in Badehose zu veröffentlichen. Leider scheint auch der
besagte Fotograf diesbezüglich falsch informiert zu sein. Leute hätten sich
durch seine Bilder „plötzlich anders gesehen, als sie gesehen werden wollten“,
gibt er weiter zu Protokoll. Ja, und genau das gibt ihnen das Recht, gegen die
Veröffentlichung vorzugehen, möchte man anfügen. Statt dem Künstler an den
Lippen zu hängen und ihm doch beträchtlichen Raum für sein (subjektiv völlig
verständliches) Wehklagen zu geben, hätte die Journalistin besser einmal
kritisch nachgefragt, warum er denn die Bilder den Abgebildeten vor dem Druck
nicht vorgelegt und das Recht zur Veröffentlichung nicht explizit eingeholt
habe.
Es ist verständlich, dass die
Sympathien in dieser Angelegenheit der Autorin einseitig verteilt sind. Aber
doch fragt sich, ob es nicht Aufgabe einer kritischen und unabhängigen
Journalistin eines internationalen Traditionsblatts wäre, den Sachverhalt
ausgewogener darzustellen. Oder ist objektive und faire Berichterstattung, wenn
es um Religion geht, hier und heute bereits zu viel verlangt? Hat das Tagi-Niveau
in Sachen Religions-Bashing, wöchentlich vorexerziert durch Hugo Stamm und
Konsorten, nun bereits die Falkenstrasse erreicht? Religionskritik, insbesondere
Kritik an tendenziell totalitären Formen von Religion, mag ein nobles, gerade
auch liberales Anliegen sein. Auch journalistische Kritik am ICF – sei es etwa
in einem Kommentar, sei es durch eine Reportage – ist völlig legitim und meines
Erachtens auch sachlich gefordert. Nur ist der geschilderte Konflikt, wenn ich
recht sehe, kein geeigneter Aufhänger für solche Kritik, ja diese kippt selber
in einen Ausdruck mangelnden Respekts vor den Rechten Anderer.
Wenn fundamentale
Persönlichkeitsrechte – und dazu zählt in einer Mediengesellschaft gerade das
Recht am eigenen Bild – zur Nebensache erklärt werden, sobald sie die Rechte
von unliebsamen Menschen sind, so gibt das zu denken. Aber wenn’s darum geht,
auf böse Religiöse zu hauen – selbstverständlich im festen Glauben, auf der
Seite der „Guten“ gegen Intoleranz und Konservatismus zu kämpfen –, scheint
auch hierzulande je länger je mehr fast jedes journalistische Mittel recht zu
sein.
Und noch ein Letztes: Nach
der Lektüre dieses Artikels fragt man sich, ob es nicht vielleicht eine weise
Entscheidung dieser Leute war, gegen die Veröffentlichung der Bilder Einspruch
zu erheben. Denn ist jene Einstellung gegenüber religiösen Gemeinschaften, wie
sie die Autorin in diesem Artikel vor Augen führt, gesellschaftlich auf dem
Vormarsch, so fragt es sich, ob etwa ein Jugendlicher auf Lehrstellensuche
nicht gut daran tut, sich nicht als ICF-Besucher zu outen. Immerhin scheint das
kein besonders gutes Licht auf seine Persönlichkeit zu werfen, wenn jemand ein
„Freikirchler“ ist.
Hier der Link zum Text in der
NZZ:
http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/zensurversuche-von-freikirchlern-1.17998392